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Der Totengarten

Der Totengarten

Titel: Der Totengarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Pelecanos
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kam Rhonda aus dem Haus. Sobald sie ins Freie getreten war, setzte sie ihre Sonnenbrille auf, ging auf den Taurus zu und stieg ein.
    Sie nahm die Sonnenbrille ab und wischte sich mit einem Taschentuch die Augen.
    Ramone beugte sich zu ihr, legte ihr eine Hand auf die Schulter und massierte sie ein wenig.
    »Das alte Mädchen hat die Nachricht wohl schwergenommen«, stellte er fest.
    »Sie war nur zehn Jahre älter als ich«, erwiderte Rhonda. »Die Großmutter hat den Jungen von klein auf großgezogen. Hat immer zu ihm gehalten, durch dick und dünn, und nie die Hoffnung aufgegeben, dass er doch noch auf den richtigen Weg findet. Und jetzt bleibt ihr nichts mehr.«
    »Wie schätzt sie die Sache ein?«
    »Sie sagt, er war ein guter Junge, der sich mit den falschen Leuten eingelassen und ein paar schlimme Fehler gemacht hatte. Aber in letzter Zeit soll Jamal keine krummen Dinger mehr gedreht haben, behauptet sie.«
    »So was hab ich doch schon mal gehört.«
    »Ich habe mich kurz in seinem Zimmer umgesehen. Sah nicht besonders chic aus, und es lag auch kein Bargeld herum. Nichts hat darauf hingedeutet, dass er in irgendwelche illegalen Machenschaften verwickelt war. Aber wenn wir die Hintergründe erfahren wollen, müssen wir uns wohl woanders umsehen. Ich habe mir von der Oma ein paar Fotos geben lassen, zum Herumzeigen.« Rhonda beugte sich vor, warf einen Blick in den Spiegel und lachte bitter. »Jetzt sieh mich nur an. Ganz verquollene Augen und alles. Mein Lidstrich ist auch verlaufen.«
    »Komm schon, du siehst gut aus.«
    »Ich habe mal gut ausgesehen. Weißt du noch, bevor ich die Jungs bekommen habe?«
    »Natürlich.»
    »Ich konnte mich wirklich sehen lassen, Gus.«
    »Das kannst du immer noch.«
    »Alter Schmeichler.« Rhonda öffnete die Aktenmappe auf ihrem Schoß. »Die Oma sagt, er war bis zuletzt dick mit einem gewissen Leon Mayo befreundet. Die WACIES-Datenbank hat den Namen als Komplizen bei einem der Autodiebstähle ausgespuckt, und bei einer Anklage wegen Drogenbesitz steckte er auch mit drin. Wir sollten ihn ausfindig machen und uns anhören, was er zu sagen hat.«
    »Fährst du, oder soll ich?«, fragte Ramone. »Dann kannst du inzwischen deine Kriegsbemalung auffrischen.«
    »Nicht nötig«, entgegnete Rhonda. »Tut mir leid, dass ich dir was vorgeheult habe. Ich konnte einfach nicht anders. Ich weiß selbst nicht, warum.«
    »Ist es diese bestimmte Zeit im Monat?«, erkundigte sich Ramone.
    »Du meinst, diese bestimmte Zeit, wenn du dummes Zeug redest über Sachen, von denen du keine Ahnung hast?«
    »Entschuldige.«
    Sie fuhr los.

    Holiday sprach nicht viel mit seinem Klienten, einem Anwalt von Arnold and Porter, den er zum Reagan National Airport brachte. Der Mann telefonierte ohnehin die meiste Zeit und begegnete während der gesamten Fahrt nicht ein einziges Mal Holidays Blick im Rückspiegel. Für den Juristen war dieser Chauffeur einfach Luft, und Holiday selbst war das nur recht.
    Nachdem er auf dem Rückweg von der 395 abgefahren war, raste er durch den Tunnel, nahm dann die New York Avenue aus der Stadt hinaus, fuhr in Maryland auf den Beltway auf und verließ ihn wieder an der Abfahrt zur Greenbelt Road. Dabei hörte er in seinem Satellitenradio laut Classic Album Cuts auf Channel 46. Heute liefen Instrumentalklassiker, zuerst »Blue Sky«, und Holiday sah vor sich, wie sein Bruder – langhaarig und so high, dass er über den Wolken schwebte – zu diesem herrlichen, flüssigen Dickey-Betts-Solo Luftgitarre gespielt hatte. Dieses Musikstück war für Holiday der Inbegriff des Glücks, weil sein Bruder damals glücklich gewesen war und seine Schwester noch bei ihnen. Anschließend ging der DJ nahtlos zu »Have You Ever Loved a Woman» über, Clapton und Duane Allman im Duell, beide feurig, und etwas Kaltes rührte Holiday an wie der Finger des Todes. Doch dann kamen die Erinnerungen an seine Familie wieder hoch, er entspannte sich, ließ das Fenster herunter und fuhr weiter.
    Er kam an der Eleanor Roosevelt High vorbei und bog nach rechts auf die Cipriano Road ab. Hier warf Holiday einen raschen Blick auf den Stadtplan, fuhr an Wäldern und einem Vishnu-Tempel vorbei, folgte der Good Luck Road am Rand von New Carrollton und bog dann erneut rechts ab in ein Viertel namens Magnolia Springs. Die überwiegend einstöckigen Häuser waren teils gepflegt, teils verwahrlost. Er fand das Haus, das er suchte, an der Dolphin Road. Es war ein gelbverkleideter Bungalow mit weißen Fensterläden

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