Der Totengarten
hocharbeitete. »Das waren nicht bloß Jungs, die so taten, als wären sie im Geschäft – was da lief, war schon ernst.«
»Es waren welche dabei, denen es ernst war. Aber uns nicht.«
»Was hat Sie beide denn zu so etwas Besonderem gemacht?«, fragte Ramone.
»Ganz einfach: Bevor das mit den Drogen weiterging, waren wir schon für die Sache mit den Autos verknackt worden.«
»Und Sie haben keine Ahnung, wer Jamal ermordet haben könnte?«
»Jamal war mein Freund. Wenn ich es wüsste -«
»Würden Sie es uns sagen«, ergänzte Rhonda.
»Hören Sie, ich bin noch auf Bewährung. Ich komme jeden Tag zur Arbeit.»Leon zeigte seine ölverschmierten Hände und sah Ramone fest an. »Das bin ich, Mann, so, wie ich hier vor Ihnen stehe.«
»Was ist mit Jamal?«, fragte Rhonda.
»Dasselbe.«
»Womit hat er sein Geld verdient?«
»Jamal hatte einen Job bei einer Malerfirma. Ich meine einen richtig festen Job. Er wollte sogar einen eigenen Betrieb aufmachen – wenn er erst mal die Feinheiten draufhätte, verstehen Sie?«
»Sicher.«
»Der wollte auch nie wieder krumme Sachen machen. Wir haben viel darüber geredet. Ehrlich, ich lüge nicht.«
Ramone glaubte ihm. »Warum könnte Jamal so spät abends noch zu Fuß unterwegs gewesen sein?«
»Er hatte kein Auto«, erwiderte Leon. »Jamal musste überall mit dem Bus oder zu Fuß hin. Hat ihm nicht mal was ausgemacht.«
»Hatte er Freundinnen?«, fragte Rhonda.
»In letzter Zeit hat er sich nur für eine interessiert.«
»Kennen Sie den Namen?«
»Darcia. Aus Petworth, mehr weiß ich nicht, ’ne hübsche Rothaarige. Hat sie vor einiger Zeit kennengelernt.«
»Kein Nachname? Keine Adresse?«
»Sie wohnt mit diesem anderen Mädchen zusammen, eine Tänzerin unten im Twilight, nennt sich Star. Soweit ich weiß, tanzt Darcia auch da. Keine Ahnung, wo die wohnen. Ich hab Jamal gesagt, lass die Finger von solchen Mädchen, du weißt ja nicht mal, mit wem die zusammen sind.«
»Was meinen Sie mit ›solchen‹ Mädchen?«
»Die's mit jedem treiben.« Leon wandte den Blick ab. Seine Stimme war nur mehr ein heiseres Flüstern. »Ich hab’s Jamal gesagt.«
»Unser Beileid«, sagte Rhonda Willis.
T.C. Cook führte Holiday durch das Haus nach hinten in die Küche, wo Holiday sich an einen großen Tisch setzte. Als sie das Wohn- und das Esszimmer durchquerten, hatte Holiday die Unordnung und Verwahrlosung bemerkt, die typisch für alleinlebende Männer war. Es war zwar nicht schmutzig, doch auf Tischen und Regalbrettern lag Staub. Die Fenster waren geschlossen, die Jalousien zugezogen, und in den Räumen stand der Geruch des Verfalls.
»Für mich bitte schwarz«, sagte Holiday, als Cook Kaffee in zwei Tassen einschenkte. »Danke.«
An einer Wand hing eine Uhr, die jedoch mehrere Stunden nachging. Holiday fragte sich, ob Cook es überhaupt bemerkt hatte.
»Ich habe selten Besuch«, sagte Cook, stellte Holiday einen Becher hin und setzte sich mit dem anderen ihm gegenüber. »Meine Tochter kommt hin und wieder. Sie wohnt in Virginia, unten in der Tidewater-Region. Ist mit einem Mann von der Navy verheiratet.«
»Ihre Frau ist verstorben?«
»Vor zehn Jahren.«
»Das tut mir leid.«
»Tja, so weit ist es nun mit mir gekommen. Sie kennen doch diese Fernsehwerbung, wo immer von den goldenen Jahren die Rede ist? Und die Anzeigen von Seniorenwohnanlagen, gutaussehende Paare mit geraden Zähnen, Golfclubs und Schwimmbäder? Alles Quatsch. Es ist verdammt nochmal überhaupt nichts Schönes daran, alt zu sein.«
»Haben Sie Enkel?«
»Ja, meine Tochter hat zwei Kinder. Und?«
Holiday grinste.
»Ich bin noch nicht mal siebzig. Aber vor ein paar Jahren hatte ich einen Schlaganfall, der mich ziemlich mitgenommen hat. Ich nehme an, Sie haben schon bemerkt, dass mein Mund auf einer Seite verzogen ist. Und ich stottere, wenn ich nach Worten suche oder aufgeregt bin.«
»Das ist hart«, sagte Holiday, der diesen Teil der Unterredung schnellstmöglich hinter sich bringen wollte.
»Mit dem Schreiben klappt es auch nicht mehr so gut«, fuhr Cook in typischer Altmännermanier mit der Aufzählung seiner Leiden fort. »Ich kann ein bisschen die Zeitung lesen und tue es jeden Morgen, aber es ist mühsam. Im Krankenhaus haben sie gesagt, ich würde nie wieder lesen können, und deshalb wollte ich ihnen das Gegenteil beweisen. Meine motorischen Fähigkeiten sind aber in Ordnung, und mein Gedächtnis ist sogar besser als vorher. Seltsam, wenn ein Teil des Gehirns abschaltet,
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