Der Totenleser
unterschiedlichsten Farben mit und ohne Spitze, Netzstrümpfe und Strapse in allen erdenklichen Variationen und dazu passend sechsundzwanzig Paar Highheels, wahrscheinlich zur farblichen Abstimmung mit den einzelnen Outfits.
Auf dem Nachttisch lagen dreihundert Euro in Fünfziger-Scheinen. Ein solcher Fund war an sich noch nichts Ungewöhnliches, konnte in diesem Fall aber Brisanz haben. Hatte Christian Blank als Nebenerwerb Liebesdienste angeboten und hier in seiner Wohnung Freier empfangen?
Als ich mich zu dem Toten hinunterkniete, weckte noch etwas mein Interesse. Auf dem Fußboden neben der Leiche lag ein Gegenstand, zum großen Teil verborgen unter dem Bett, so dass bisher keiner der Beamten ihn bemerkt hatte. Ich holte ihn vorsichtig hervor und inspizierte ihn näher. Es war ein etwa fünfzig Zentimeter langer schwarzer Gummischlauch von knapp einem Zentimeter Durchmesser. An einem Ende war ein kurzes schmales Schraubgewinde eingelassen, das andere mündete in einen kleinen Blasebalg, ebenfalls aus schwarzem Gummi. Während der Kriminaloberkommissar Schlauch und Blasebalg in einer Asservatentüte verstaute, begann ich mit meiner ersten Untersuchung. Schon als ich mir das Gesicht des Toten genauer ansah, stand die Todesursache fest: Christian Blank war wie vermutet durch Erhängen gestorben. Das zeigten zum einen zahlreiche punktförmige Blutungen in seiner Gesichtshaut, zum anderen eine Spur von Speichel, die sich aus seinem rechten Mundwinkel über das Kinn herunterzog. Beide Merkmale sind Vitalzeichen (also zu Lebzeiten entstanden), die zweifelsfrei belegen, dass der Tod durch Strangulation verursacht worden war. Christian Blank war also gestorben, während er von der Decke hing, und nicht etwa nach seinem Tode aufgehängt worden, zum Beispiel um ein Tötungsdelikt zu verdecken.
Nachdem ich festgestellt hatte, dass auch in den Augen bindehäuten des Toten punktförmige Blutungen vorhanden waren, versuchte ich den Mund des Toten zu öffnen, um zu überprüfen, ob sich auch in der Schleimhaut des Mundes solche Blutungen finden ließen. Doch die kräftig ausgeprägte Totenstarre hielt die Kiefer zu fest zusammen, so dass mein Versuch scheiterte. Allerdings waren die Zahnreihen von Ober- und Unterkiefer nicht fest aufeinander gebissen, und durch die Lücke meinte ich etwas im Mund des Toten zu sehen, was dort nicht hingehörte. Da ich die Kiefer nur mit Gewalt hätte aufstemmen können, wobei garantiert Zähne abgebrochen wären, leuchtete ich mit einer Stablampe in die Mundhöhle. Das, was sich im Mund des Toten befand, war dunkel, füllte nahezu die gesamte Mundhöhle aus und schien elastisch zu sein, vielleicht aus Schaumstoff oder weichem Kunststoff.
Dieser Gegenstand konnte sich als entscheidendes Puzzleteil bei der Lösung des Falles entpuppen, aber dafür mussten wir warten, bis die Leichenstarre sich wieder gelöst hatte. Zu diesem Zeitpunkt konnten wir nur spekulieren, worum genau es sich bei diesem Gegenstand handelte und wer ihn Christan Blank in den Mund geschoben hatte – er selbst oder jemand anderes.
So viel sei an dieser Stelle schon verraten: Unser Fall hatte keine Parallelen zu der Oscar-prämierten Verfilmung von Thomas Harris’ Thriller Das Schweigen der Lämmer, in dem die von Jodie Foster gespielte FBI-Agentin Clarice Starling im Mund eines weiblichen Mordopfers des Serienkillers Buffalo Bill die Puppe eines Totenkopfschwärmers findet. Für das schwarze Etwas im Mund unseres Toten gab es eine viel profanere, wenn auch nicht gerade alltägliche Erklärung, aber dazu später.
Nach der Untersuchung des Gesichts widmete ich mich den anderen Körperregionen. Die wesentlichen Befunde passten für mich ins Bild: Nach Entfernen der Hundeleine kam an der Halsvorderseite sowie an den rechten und linken seitlichen Halspartien wie erwartet eine rotbraune Strangmarke zum Vorschein, die zum Nacken hin anstieg und wie das Strangwerkzeug gut ein Zentimeter breit war. Unter dem engen Korsett fanden sich im Brust bereich zwei hautfarbene Schaumstoffkissen, die wie weibliche Brüste aussahen und solche offensichtlich auch vortäuschen sollten. Der Schambereich war vollständig rasiert. Um die Peniswurzel war ein sogenannter Cockring oder auch Penisring geschoben, eine mechanische Potenzhilfe zur Verstärkung und Verlängerung der Erektion. Der Ring war seinerseits mit einem schwarzen Ledergeschirr zum Umschnüren des Hodens verbunden.
Das, was ich bereits nach dem Telefonat vermutet hatte, hatte sich
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