Der Totenleser
Ikea essen kann, und so fest im Kehlkopfeingang eingeklemmt, dass es den Eingang in die Luft- und Speiseröhre vollständig verschloss. Der Fachausdruck dafür lautet Bolustod (griechisch Bolos = Klumpen, Kloß, Ball), im Volksmund sagt man auch »Bockwurstbudentod« und speziell in der Hauptstadt »Berliner Bulettentod«.
Dabei tritt der Tod nicht, wie man annehmen könnte, durch Ersticken ein, sondern durch einen plötzlichen Herzstillstand, ausgelöst durch eine abrupte Reizung der direkt unter der Kehlkopfschleimhaut liegenden Nervengeflechte. Damit handelt es sich hierbei um einen reflektorischen Herzstillstand durch Reizung von Hals-nerven. Die meisten Bolustode ereignen sich bei zu hastiger Nahrungsaufnahme, häufig bei Personen, die zudem noch erheblich alkoholisiert sind. Meist ist der Bolus ein zu großes, nicht ausreichend zerkautes Stück Fleisch, das aufgrund seiner Größe weder heruntergeschluckt noch wieder ausgewürgt werden kann, wenn es erst einmal im Kehlkopfeingang feststeckt. Es ist also durchaus ratsam, Anweisungen der Eltern wie »Iss langsam« oder »Sprich nicht mit vollem Mund« ernst zu nehmen und diese auch später als Erwachsener nicht zu vergessen, nicht nur im Hinblick auf gutes Benehmen und Tischetikette, sondern auch des eigenen Überlebens willen.
Die Obduktion war also keine besondere Herausforderung für die Rechtsmedizin, der vorherige Transport des Toten durch unseren Kraftfahrdienst dagegen sehr wohl. Dazu hatten wir im Vorfeld die Feuerwehr zwecks »Amtshilfe« angefordert, da klar war, dass die Bergung des Toten kein leichtes Unterfangen werden würde. Doch auch die Mannschaft eines gesamten Löschzugs der Berliner Feuerwehr konnte gemeinsam mit unseren Mitarbeitern den Toten nicht bergen. Die Feuerwehrmänner hatten den Türrahmen der Schlafzimmertür entfernt und die Türöffnung mittels eines Vorschlaghammers so erweitert, dass der Körper des Mannes mit der vereinten Kraft von sechs Männern in einem Bergungsnetz der Feuerwehr in den Flur der Wohnung gezogen werden konnte.
Doch dann hatte sich ein neues Problem ergeben: Die Öffnung der Wohnungstür konnte nicht in der gleichen brachialen Weise erweitert werden, denn aufgrund der Statik des Hauses hätte eine solche Maßnahme die ganze Etage samt den darüber liegenden Etagen zum Einsturz bringen können. Also wurde bei der Feuerwehr erneut Verstärkung angefordert, diesmal in Form eines Kranwagens. Zu guter Letzt musste die gesamte Straße vor dem Wohnhaus für mehrere Stunden gesperrt werden, um den schwergewichtigen Verstorbenen mit dem Kran wagen über die breite Fensterfront des Wohnzimmers zu bergen – eine Szene, die Gilbert Grape seiner Familie hatte ersparen wollen. Und der Leichnam passte erst durch die Fensteröffnung, nachdem auch sie mit dem Vorschlaghammer entsprechend vergrößert worden war.
In einem anderen Fall dachten die für den Transport zuständigen Bestatter, man könnte die »gewichtige Bergung« des 235 Kilogramm wiegenden Leichnams ohne den schweißtreibenden Einsatz von Körperkraft umgehen. Der 58 Jahre alt gewordene Mann war kein Fall für die Rechtsmedizin, denn der leichenschauende Arzt hatte ihm einen natürlichen Tod – Herzinfarkt – attestiert. Der Tote lag in dem nur vier Quadratmeter großen Badezimmer seiner Einzimmerwohnung, eingeklemmt zwischen Toilettenbecken und Waschtisch. Den Mitarbeitern des beauftragten Bestattungsunternehmens war die Bergung des Mannes aus dem kleinen Badezimmer auch nach Demontage von Toilette und Waschtisch nicht gelungen, da die kräftig ausgeprägte Totenstarre des Mannes ihn in einer gekrümmten Haltung derart fixiert hatte, dass der Körper nicht durch die Badezimmertür passte. So kamen die vor Ort anwesenden Bestatter auf die Idee, die Rechtsmedizin zu verständigen und um Unterstützung durch die diensthabende Ärztin zu bitten: Sie sollte den Leichnam im Badezimmer für den Abtransport fachgerecht zerteilen!
Dieses Ansinnen war natürlich gleich aus mehreren Gründen völlig irrwitzig. Erst einmal widerspricht es jeder Ethik, einen Menschen nach seinem Tod in transportgerechte Stücke zu zerteilen. Zudem gibt es verschiedene Länder- und Bundesgesetze, die ein solches Vorgehen verbieten bzw. unter Strafe stellen. So heißt es zum Beispiel nicht nur im Berliner Bestattungsgesetz: »Wer mit Leichen umgeht, hat dabei die gebotene Ehrfurcht vor dem toten Menschen zu wahren.«
Übrigens spricht der Gesetzgeber hier bewusst und explizit von
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