Der Totenleser
trat ihm ein hünenhafter Mann mit tätowierten Armen entgegen, doch als Ci ihm den Grund für sein Kommen verriet, begleitete er ihn bereitwillig durch die Gärten bis zu einem reichgeschmückten Pavillon, von dem aus man die Reisterrassen in den Bergen überblicken konnte, und führte ihn zu einem mürrisch dreinblickenden Alten auf einem Tragsessel, dem eine Konkubine Luft zufächelte. Der Mann blickte verächtlich auf, als Ci vor ihm stand. Erst als der Wachmann ihm den Grund seines Besuches mitteilte, veränderte sich sein Ausdruck.
»Du willst also Lus Land verkaufen.« Der Reisherr lud ihn ein, auf dem Boden Platz zu nehmen. »Ich habe das von deiner Familie gehört, mein Beileid. Doch es ist keine gute Zeit für Geschäfte.«
Ci verbeugte sich und schickte Mei Mei zum Spielen an den Ententeich.
»Ich habe viel von Eurer Intelligenz reden hören.« Ci setzte sich ohne Eile. Seine Antwort hatte er im Kopf bereits formuliert. »Doch mehr noch von Eurer Geschäftstüchtigkeit.«
Der Alte lächelte zufrieden.
»Ihr wisst zweifellos, dass meine Situation mich dazu zwingt, den Besitz meines Bruders unter Wert zu verkaufen«, sagte Ci. »Aber ich bin nicht hergekommen, um Euch etwas zu schenken, sondern um Euch ein Angebot von unschätzbarem Wert zu unterbreiten.«
Der Reisherr schnappte nach Luft. Ci war sich nicht sicher, ob er zu weit gegangen war, ob der Alte nicht überlegte, ihn auf der Stelle auspeitschen zu lassen. Doch stattdessen bedeutete er ihm, fortzufahren.
»Ich weiß, dass Bao-Pao seit einiger Zeit in Verhandlungen mit meinem Bruder stand«, log Ci. »Er hatte offenbar ein Auge auf diese Ländereien, noch bevor Lu sie kaufte.«
»Ich sehe nicht, warum mich das interessieren sollte. Ich besitze so viel Land, dass ich zehn ganze Dörfer versklaven müsste, um es zu bewirtschaften«, antwortete der Reisherr abschätzig.
»Das stimmt. Und darum bin ich hier und nicht bei Bao-Pao.«
»Junge, du strapazierst meine Geduld. Erkläre dich, oder ich lasse dich hinauswerfen.«
»Ihr besitzt mehr Ländereien als Bao-Pao. Ihr seid reicherals er, aber nicht mächtiger. Er ist der Dorfvorsteher. Ihr dagegen, mit allem Respekt, seid nur ein Grundherr.«
Der Mann schnaufte unwillig. Ci wusste, dass er ins Schwarze getroffen hatte, und wagte sich weiter vor.
»Alle im Dorf wissen von dem Interesse, das Bao-Pao an Lus Ländereien hat. Der Vorbesitzer hatte sich jedoch stets geweigert, sie ihm zu verkaufen, wegen einer uralten Feindschaft ihrer Familien.«
»Und das hat dein Bruder ausgenutzt und sie in einer Spielnacht gewonnen. Glaubst du, ich kenne die Geschichte nicht?«
»Auch mein Bruder weigerte sich, an Bao-Pao zu verkaufen, da der Bach gleich an dem Grundstück vorbeifließt, was eine Wasserversorgung sogar in Zeiten garantiert, wenn das Wasser niedrig steht. Die Parzelle ist also von unschätzbarem Wert. Ihr selbst besitzt die darunterliegenden Felder, die ebenfalls vom Wasser des Flusses versorgt werden … Die Grundstücke Bao-Paos hingegen befinden sich hoch oben in den Hügeln, wo das Wasser nur durch ein fußbetriebenes Pumpensystem hinaufgelangt, welches über Lus Ländereien verlegt werden musste.«
»Na und? Ich begreife immer noch nicht recht, warum ich mich für dein elendes Stück Land mehr als für einen einzelnen Sack Reis interessieren sollte.«
»Um zu verhindern, dass ich an Bao-Pao verkaufe. Denkt daran, wenn ich das täte, verfügte der Dorfvorsteher nicht nur über die Macht, sondern auch über das Wasser, das durch ebenjenen Fluss fließt, der auch Eure Felder versorgt.«
Der Grundherr musterte Ci von oben bis unten.
»Ich verstehe, mein Junge, dass du in Not bist. Aber dein Grundstück hat für mich keinen Wert«, sagte er dann. »Wenn Bao-Pao es will, dann verkaufe es ihm.«
Er will es haben, dachte Ci, ich weiß es. Er will es allerdings geschenkt haben.
»Mei Mei! Komm, lass die Enten!«, rief Ci und erhob sich. »Ja, Ihr habt recht. Schließlich ist es normal, dass ein Dorfvorsteher erreicht, was er möchte, und ein einfacher Grundherr nicht in der Lage ist, es ihm zu verwehren.«
»Hüte deine Zunge«, fauchte der Reisherr.
Ci antwortete nicht auf die Drohung. Er wandte sich um und schickte sich zum Gehen an.
»Zweihunderttausend!«, rief der Reisherr. »Zweihunderttausend Qian für dein jämmerliches Grundstück.«
»Vierhunderttausend«, entgegnete Ci ruhig.
»Machst du Witze?« Er lachte höhnisch. »Jeder weiß, dass das Gelände nicht mal die Hälfte
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