Der Totenleser
Bruder sprechen. Eure Weisheit hat mir garantiert, dass seine Todesstrafe umgewandelt wird, wenn ich das Bußgeld bezahle …«
»Ich habe gesagt, dass ich es versuchen würde … Hast du das Geld dabei?«
»Dreihunderttausend. Mehr besitze ich nicht.« Er legte die Scheine neben eine Schale mit Reisküchlein, gierig griff der Hüter der Weisheit nach dem Bündel und zählte.
»Wir hatten vierhunderttausend ausgemacht«, bemerkte er kühl und steckte die Scheine ein.
»Werdet Ihr dafür sorgen, dass er freikommt?«
»Dass er freikommt? Davon war niemals die Rede, ich werde mich bemühen, ihn nach Sichuan zu verbannen.«
»Vielleicht habe ich es nicht richtig verstanden, aber ich ging davon aus, dass die Summe mit dem vorgeschriebenen Ablösebetrag übereinstimmte«, hielt Ci zaghaft dagegen.
»Dem Ablösebetrag?« Der Hüter tat überrascht. »Ich bitte dich, mein Junge: Die Skala, von der du da sprichst, beginnt bei ganz anderen Summen. Eine Strafumwandlung kostet zwölftausend Silberunzen, dagegen ist das, was du mir gebracht hast, geradezu jämmerlich.«
Ci nickte. Zum Glück hatte er sich vorbereitet. Er zog ein Papier aus seinem Beutel, auf das er einige Klauseln aus dem Strafgesetzbuch übertragen hatte, und breitete es vor dem Hüter aus.
»Zwölftausend Unzen, falls es sich bei dem Delinquentenum einen höheren Staatsbeamten handelt, der den vierten Grad übersteigt. Fünf- und viertausend für die von viertem, fünftem und sechstem Rang.« Seine Stimme wurde fester. »Zweitausendfünfhundert für die siebten Grades, niedere Beamte und Doktoren der Literatur. Zweitausend für Akademiker und eintausendzweihundert Silberunzen für einen Privatmann wie meinen Bruder.«
»So«, höhnte der Hüter. »Du meinst also, die Gesetze besser zu kennen als ich. Allerdings steht es mit deinen Rechenkünsten wohl nicht zum Besten … Eintausendzweihundert Silberunzen entsprechen achthundertfünfzigtausend Qian.«
»Ja, auf die Summe bin ich auch gekommen.« Ci ließ sich nicht einschüchtern. »Und aus diesem Grund verstand ich, dass Ihr nie vorhattet, die Strafe umzuwandeln. Ihr habt einfach eine Summe festgelegt, von der Ihr annahmt, dass ich sie nicht zusammenbringen würde.«
»Ach, was du nicht sagst … Du hältst dich also für besonders schlau.« Seine Stimme wurde hart. »Mal sehen, wenn du so klug bist, dann weise mir doch einwandfrei nach, dass du und deine Schwester nichts mit dem Verbrechen zu tun hatten.«
Ci erschrak, sofort änderte er seine Strategie.
»Entschuldigt, ehrbarer Richter, ich weiß schon nicht mehr, was ich sage. Die Ereignisse der letzten Tage lassen mich nicht mehr richtig denken.« Er verbeugte sich. »Erlaubt mir dennoch den Hinweis, dass die Summe, die ich Euch soeben übergeben habe, die im Strafgesetzbuch festgesetzte überschreitet.«
Der Hüter sah Ci scharf an. »Lass mich dir etwas erklären, Junge: Dein Bruder hat dieses Verbrechen begangen, und dafür darf es keine Erlösung geben. In der Tat hätte ich das Urteil bereits vollstrecken sollen, wie mich die Familie des Totenbat. Ich tue bereits sehr viel, wenn ich ihn nach Sichuan schicke. Davon abgesehen liegt die Macht, eine solche Umwandlung zu akzeptieren, nicht bei mir, sondern in der Gnade des Kaisers.«
»Ich verstehe.« Ci schluckte, dann fasste er all seinen Mut zusammen. »Dann gebt mir das Geld zurück und erlaubt, dass ich das Urteil anfechte.«
Der Hüter der Weisheit blinzelte nervös.
»Anfechten? Auf welcher Grundlage? Dein Bruder hat gestanden, und alle Beweise sprechen gegen ihn.«
»In dem Fall dürfte es Euch nichts ausmachen, wenn das hochgelehrte Kassationsgericht das Urteil überprüft. Gebt mir das Geld zurück, und sie sollen darüber entscheiden.«
Der dicke Justizbeamte erhob sich. »Ich sage dir, was wir machen: Ich vergesse deine Unverschämtheit, und du vergisst diese Unterhaltung. Ich verspreche dir, dass ich alles tun werde, was in meiner Macht steht.«
»Ich bitte Euch«, presste Ci hervor. »Bestätigt die Umwandlung der Strafe oder gebt mir mein Geld zurück. Tut Ihr das nicht, sehe ich mich gezwungen, die Anfechtung bei Euren Vorgesetzten in der Provinzpräfektur einzureichen.«
Der Hüter musterte ihn von oben bis unten, als betrachtete er eine Küchenschabe.
»Und wenn ich auf der Stelle anordne, dass sie deinen Bruder enthaupten? Glaubst du wirklich, dass ein Trottel wie du mich bedrohen kann, ohne irgendwelche Konsequenzen?«
Ci zitterte. Die Sache entglitt ihm vollends.
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