Der Totenschmuck
sei kein Unfall gewesen. »Sie glauben, jemand hat sie vorsätzlich umgebracht?«, hatte Emma gefragt und er hatte geantwortet, das sei nicht sicher, aber sie dürften keine Möglichkeit ausschließen.
Er betrachtete die Wände. An der hinteren Wohnzimmerwand hing ein großes Blumenposter. »Monet im Metropolitan Museum of Art« stand darunter. An der anderen Wand hingen Poster von Musikbands, Bruce Springsteen, Crosby, Stills & Nash, The Grateful Dead. Quinn und Maura hatten das Dead-Poster auch bei sich im Keller hängen.
»Hatte sie einen Freund?«, wollte er von Emma wissen, als Marino sich mit seiner Coke auf dem Sofa niederließ.
»Nein. Sie ist zwar im Herbst mit einem Jungen ausgegangen, aber um Weihnachten herum ging das wieder auseinander.« Quinn nickte. Das hatten sie schon überprüft.
»Sonst niemand? Auch keine flüchtige Bekanntschaft?«
»Na ja …«, zögerte Emma. »Das weiß ich nicht. Ich meine, sie hat uns nichts erzählt. Aber sie ist ein paar Nächte nicht nach Hause gekommen, und als wir sie damit aufgezogen haben, wollte sie nicht sagen, wo sie gewesen war. Das letzte Mal ist sie auf mich sogar richtig wütend geworden.«
Sie hob die Brauen, lächelte und zuckte leicht mit den Schultern.
»Und Ihnen hat sie auch nichts gesagt?«, fragte Marino Angela. Quinn konnte förmlich hören, wie sich ein guter Einfall in Rauch auflöste. Puff!
»Mm-mmh.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich war schon früh auf, weil ich noch eine Seminararbeit fertig schreiben musste. Sie kam um halb acht oder so nach Hause, und ich habe sie
gefragt, wo sie gewesen ist. Sie hat mich angegrinst, aber dann nur gesagt, dass sie bei Genevieve geschlafen hat.«
»Genevieve?«
»Eine Freundin von ihr.«
»Wissen Sie noch, wann das war?«
»Ja, das war in der Nacht, in der Brad Putnam gestorben ist. Das weiß ich noch, weil wir alle zusammen zum Lunch gegangen sind und ihr Löcher in den Bauch gefragt haben, wo sie gewesen ist.«
»Wie heißt Genevieve mit Nachnamen?«, fragte Quinn. Er musste bei ihr rückfragen, war sich jedoch so gut wie sicher, dass Alison gelogen hatte. »Alison ist mit Brad Putnam befreundet gewesen, oder?«
Die beiden tauschten einen Blick, und Emma schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Sie hat ihn vielleicht mal auf einer Party kennen gelernt, aber sie waren definitiv nicht miteinander befreundet.«
»Sind Sie da ganz sicher? Ich habe gehört, dass sie bei seinem Gedenkgottesdienst gewesen ist. Warum hätte sie dorthin gehen sollen, wenn sie nicht mit ihm befreundet gewesen war?«
»Ich habe keine Ahnung, aber ich habe ein Mal mit ihr über ihn gesprochen und mich erkundigt, ob sie ihn kennt. Sie hat das verneint.«
»Vielleicht flüchtig? Auf Partys herumhängen und so weiter? Ich meine, Sie haben Alison doch nicht auf Schritt und Tritt begleitet, nicht wahr?« Marino leerte sein Glas und stellte es auf den Couchtisch.
»Vielleicht«, sagte Angela zweifelnd.
Quinn trat an das Bücherregal. »Wer sind denn all diese Strategen? Studieren Sie Germanistik?«
Emma und Angela wechselten einen raschen Blick.
»Das sind Philosophen«, antwortete Emma lächelnd. »Die philosophieren.«
»Ach ja? Und was ist ihre Philosophie?«
»Kommt darauf an, wen Sie meinen.« Emma stand auf und trat ebenfalls vor das Regal. Sie nahm den Kant heraus und reichte ihm den Band. »Immanuel Kant. Kant hat geglaubt, dass der Mensch drei Fragen beantwortet wissen will. Was kann ich wissen? Was darf ich hoffen? Wie soll ich leben?«
Quinn besah sich das Buch von allen Seiten. Er hatte gedacht, der Name würde wie »Can’t« ausgesprochen, aber sie hatte ihn wie »Cahnt« betont. »Ach, ja? Und wie lautet die Antwort? Wie soll ich leben?«
Marino lachte.
»Moralisch«, entgegnete Emma und sah ihn an. »Kant glaubte, dass es immer besser ist, das zu tun, was moralisch ist, als das, was dich selbst oder andere Menschen glücklich macht.«
Betroffen stellte er das Buch wieder zurück. »Und Sie sind sicher, dass Sie nicht wissen, wer dieser Mann war? Mit dem sie sich getroffen hat?«
Die Mädchen sahen sich an. »Ich habe immer gedacht, dass es ein älterer Typ gewesen ist«, sagte Emma schließlich.
»Warum das denn?«
»Weil wir uns mal über Männer unterhalten haben, und da hat sie eine Bemerkung in der Art fallen lassen.«
»Sie hat das einfach so gesagt? Weshalb sollte sie das tun?«, wollte Marino wissen.
Emma ließ ihren Blick auf den Beamten ruhen. »Also, ich habe gesagt, dass ich ältere
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