Der Totenschmuck
ostereigelbe Kostüm war ein Protest, fand Sweeney, und sie mochte Kitty für diesen Gedanken.
Niemand aus der Familie erhob sich, um eine Rede oder eine Eloge zu halten. Der Gedenkgottesdienst war konventionell und schien eine reine Formsache zu sein, aber als die Familie sich zu den Orgelklängen von »Morning Has Broken« erhob, bemerkte Sweeney, dass Jack den Arm seiner Mutter ergriff und sein Gesicht tränenüberströmt war.
Als die Orgel verstummte, drang aus der ersten Reihe ein lautes Klagen an Sweeneys Ohr. Irgendjemand weinte, und als sie den Kopf drehte, um zu sehen, wer es war, erkannte sie Melissa Putnam. Drew hatte den Arm um sie gelegt und versuchte, sie zu trösten, aber sie ließ sich nicht beruhigen, und schließlich führte eine Dame sie den Gang entlang.
Der Pfarrer erklärte, dass die Gäste nun eingeladen wären, auf dem Familiensitz eine Erfrischung einzunehmen. Die Beerdigung würde in engstem Familienkreis zu einem späteren
Zeitpunkt stattfinden. Der Grund dafür schwebte gleichsam über dem Kopf des Geistlichen im Raum.
Die Familie hatte sich an der Kirchtür aufgereiht. Als die Trauergäste nacheinander die Kirche verließen, gaben sie mit leiser Stimme und höflichen Worten ihrem Beileid Ausdruck. Dreißig bis vierzig dunkel gekleidete Männer und Frauen traten im Pulk auf die Familie zu, und Sweeney hörte jemanden hinter sich sagen: »Sehen Sie diese vielen Richter? Die lieben das hier.«
Jack bemerkte sie, bevor sie ihm gegenüberstand, er schickte ihr ein schwaches Lächeln und winkte. Sie fragte sich, ob er bereits von ihrer Unterredung mit seiner Mutter letzte Nacht wusste. Möglicherweise nicht.
»Jack hat uns erzählt, dass er Sie gestern auf Katies Hochzeit getroffen hat«, sagte Andrew Putnam. Mit seinem silbrigen Haar und in dem maßgeschneiderten schwarzen Anzug erinnerte er Sweeney an Cary Grant in späteren Jahren. »Wir wissen Ihre Anwesenheit heute sehr zu schätzen.«
Als Sweeney weiterging, gab sie Melissa und Drew die Hand und murmelte ihr Beileid. Melissa schien sich wieder beruhigt zu haben, doch als sie Sweeney anblickte, rollte ihr eine Träne aus dem Augenwinkel und lief ihre Wange hinab. Sweeney musste sich beherrschen, damit sie sie nicht abwischte.
Camille Putnam gab sich ganz anders. Sie war Politikerin durch und durch. Als Sweeney ihr die Hand schüttelte, setzte sie ein ernstes Lächeln auf und sagte, dass sie sich freute, Sweeney wiederzusehen. Sweeney suchte in ihrem Gesicht nach Anzeichen von Trauer, fand aber nur Verschlossenheit, als beträfe die Tragödie eine andere Person, und sie war nur rücksichtsvoll.
Sweeney lächelte Kitty nervös an, und als sie sich abwandte, trat Jack aus der Reihe und holte sie am Ausgang ein.
»Ich möchte mit Ihnen noch über etwas reden. Kommen Sie nachher auch zum Haus rauf?«
»Das hatte ich vor, aber …« Sweeney schielte zu Kitty hinüber, die von einer älteren Dame in den Arm genommen wurde. »… sind Sie sicher, dass nicht nur die engen Freunde eingeladen sind? Ich denke, ich zähle eher zu der Kategorie Bekannte.«
Jacks Mundwinkel bogen sich zu einem traurigen Grinsen. »Sie haben uns noch nicht durchschaut, nicht wahr? Die Putnams haben nur Bekannte.«
Die Gäste parkten wild durcheinander am Straßenrand, ohne sich darum zu kümmern, dass sie den Zorn der Beacon-Hill-Park-Gestapo auf sich zogen. Sweeney hielt hinter einem BMW mit einem Aufkleber »Putnam in den Kongress«. Ihr schwarzes Kleid, das sie vor drei oder vier Jahren für einen anderen Trauerfall gekauft hatte, schützte sie nur wenig vor dem kühlen Maimorgen und sie schlang die Arme um sich und massierte sich die Schultern. Sie hatte sich für nicht besonders strapazierfähige Schuhe entschieden, aber immerhin waren sie aus schwarzem Leder und hatten eine Gummisohle, an der die Erde, die den Fußweg säumte, nicht kleben blieb. Sie folgte den anderen und wartete vor der Haustür, bis auch sie eintreten konnte.
Eine junge Frau in schwarzem Kleid mit weißer Schürze nahm ihr den Mantel ab, und die Deutsche, an die Sweeney sich von ihrem ersten Besuch erinnerte, bat sie, sich in ein in Leder gebundenes Gästebuch einzutragen. Sie schrieb ihren Namen und das Datum nieder und betrat ein geräumiges Wohnzimmer, in dem an einer Wand eine Bar aufgebaut worden war. Sweeney bediente sich selbst und schenkte sich einen Scotch ein, schlenderte durch das Zimmer und besah sich die Bilder und Fotos, die auf den niedrigen Tischen standen.
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