Der Totenschmuck
Frühlings zu ihm gesagt: »Timmy, hast du mal daran gedacht, Englisch im Hauptfach zu studieren, wenn du aufs College kommst? Du bist dieses Jahr so gut gewesen, und ich fände es sehr schade, wenn du nicht bei der Literatur bliebest.«
»Ich hatte an Kriminalistik gedacht«, hatte er geantwortet. »Um eventuell Polizist zu werden oder so etwas.«
Die Lehrerin, Mrs Lieber, wie er noch wusste, hatte tief Luft geholt, als hätte sie Angst gehabt, ihn zu beleidigen. »Ich weiß, dass du das wunderbar meistern wirst, und ich weiß, dass auf dem Sektor des Strafrechts mehr intelligente, aufmerksame Menschen gebraucht werden wie dich, aber ich hoffe auch, dass du dir nicht irgendeinen anderen Weg verbaust.«
Er hatte nicht genau verstanden, wie sie das gemeint hatte, aber in jenem Sommer, als er auf der Bank gesessen und diese geheimnisvollen Zeilen gelesen hatte, waren seine Hoffnungen und Gefühle plötzlich in einen Taumel versetzt worden, und er hatte ganz intensiv gespürt, zu sein. Er hatte das Gefühl, das er nur wenige Male zuvor erlebt hatte, etwas von der Welt zu verstehen, etwas, das jeder Mensch erlebte, der auf dieser Welt war. Er hatte jedoch mit niemandem darüber sprechen können. Er hatte niemanden gekannt, dem er das sagen konnte, ohne verrückt zu wirken.
Ihm war fast etwas schwindelig, und er schloss kurz die Augen, um sich wieder zu erden. Als er sie wieder aufschlug,
sah Marino ihn skeptisch an. Aber er fühlte sich stärker, besser.
Sie drückten den Klingelknopf neben dem Schild »R. Dearborne« an der Tür.
»Muss ihr sagen, sie soll erst fragen, wer da ist, bevor sie jemanden rauflässt«, sagte Marino, als der Türöffner summte und sie die Treppe hinaufstiegen. »Was hältst du von dem Burschen, Quinny? Immerhin hast du dich seit ein paar Tagen umgehört. Wie war er so?«
Quinn dachte nach. In dem Wohnheim roch es nach neuer Auslegeware und Erbrochenem.
»Ich denke, er war traurig«, antwortete er. »Ich denke, das Leben war ihm irgendwie entglitten, mit ihm passierte etwas, in das er nicht mehr eingreifen konnte, um es zu ändern.«
Achtzehn
Es regnete, und nachdem sie neben ihrem Auto in eine Pfütze getreten und noch mal zurückgegangen war, um die Schuhe zu wechseln, war Sweeney zu spät dran gewesen und durch den Hintereingang in die Bigelow-Kapelle des Mount-Auburn-Friedhofs geschlüpft, vorbei an einer Traube von Reportern, die nach draußen auf die Treppe verbannt worden waren. Als sie an ihnen vorbeieilte, wollte ihr ein Kerl mit Brille und Tweedjacke eine Frage stellen, doch sie schubste ihn zur Seite. Da die Reihen voll besetzt waren, gesellte Sweeney sich zu rund zwanzig anderen Trauergästen, die auf Klappstühlen saßen, die an der Rückwand entlang aufgereiht worden waren.
»Manchmal denken wir, dass GOTT ungerecht ist, wenn ER die Jungen aus unserer Mitte nimmt«, sagte der Geistliche gerade, als sie Platz nahm. »Wir hegen Groll gegen IHN, weil ER uns gegenüber sein Versprechen gebrochen hat. Doch GOTT gibt kein Versprechen, außer dem, uns zu lieben, und ER liebt uns. ER befolgt seinen Plan auf wundersame Weise. Erst am Ende erfahren wir, was ER mit uns vor hat, und erst am Ende erfahren wir, worin unsere wahre Aufgabe besteht.«
Sweeney stellte fest, dass sie zum zweiten Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden weinen musste. Sie glaubte an keinen Plan. Sie glaubte nicht, dass dieser Tod irgendeinen Sinn oder Zweck hatte - ebenso wenig wie jeder andere Tod.
Trotzdem weinte sie. Sie weinte um Brads ungelebtes Leben und um alle anderen ungelebten Leben. Sie weinte, weil sie dachte, er hatte ihr eine Frage gestellt, die sie nicht hatte beantworten können, und nun fürchtete sie, dass sie ihn im Stich gelassen hatte.
Die Putnams saßen in den vordersten Reihen, sie hatte sie gut im Blick über die Bankreihen hinweg. Jack saß an einem Ende der ersten Reihe, neben einem älteren Mann, der Paddy Sheehan sein musste, wie Sweeney annahm. Er saß in einem Rollstuhl, seinen dünnen Rücken gebeugt, sein schütteres Haar kaum noch sichtbar. Er hob eine Hand, um sich an der Wange zu kratzen und Sweeney sah, dass sie stark zitterte.
Neben ihm saß Kitty, daneben Camille, schlicht und trist in einem dunklen Kostüm. Melissa Putnam war dagegen auffällig zurechtgemacht. Sie trug eine glänzende, schwarze Strumpfhose und Stilettos und wurde von ihrem Mann und ihrem Schwiegervater eingerahmt.
Sie alle trugen Trauer, außer Kitty, die in Gelb gekleidet war - das leuchtende,
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