Der Totenschmuck
geschleppt haben, um die Villen in der Back Bay aufzubauen.
»Ja«, sagte Henrietta. »Aber die Geschichte interessiert sich nie für diejenigen, die sich abgeplagt haben, nicht wahr? Ich habe kürzlich ein sehr gutes Buch über die Arbeiter gelesen, die das Weiße Haus errichtet haben. Faszinierend. Wie dem auch sei - es gab ein beachtliches Putnam-Vermögen, und Belinda hat bis zu ihrem Tod allein gelebt. Natürlich sind ihr viele Anträge gemacht worden, aber sie hat sie alle abgelehnt. Sie ist eine wichtige Wohltäterin der Stadt geworden, wissen Sie. Hat viel für wohltätige Zwecke gespendet und selbst ein Heim für ledige Mütter gegründet. Und etwas für afroamerikanische Frauen in Newport, wenn ich mich nicht irre. Ein Fond, der diesen Frauen eine Berufsausbildung ermöglichte. Alles, was ich über sie gelesen habe, lässt darauf schließen, dass sie eine außergewöhnliche Frau gewesen sein muss.«
»Ich habe ihr Grab nicht finden können«, sagte Sweeney. »Wissen Sie, wo es ist?«
»Die Familie hat auf dem Mount-Auburn-Friedhof eine Grabstätte, glaube ich.«
»Ja, und ich habe Charles und Edmunds Gräber gefunden, aber nicht Belindas. Könnte es einen Grund dafür geben, dass sie nicht in dem Familiengrab beigesetzt wurde, sondern woanders?«
»Möglicherweise ist sie in dem Grab ihrer eigenen Familie bestattet worden. Ihr Mädchenname war Cogswell, wenn ich mich recht erinnere. Ihr Vater hatte mit Überseeimport und -export zu tun. Ursprünglich sehr wohlhabend, und dann hat er alles verloren. Für mich hat es den Anschein, dass sie Charles Putnam wegen seines Geldes geheiratet hat. Er war um einiges älter als sie und hat nach seiner Hochzeit nicht mehr sehr lange gelebt.«
»Und wissen Sie vielleicht auch, wo die Grabstätte der Cogswells liegt?«
»Leider nein.«
Sweeney stand auf, um sich zu verabschieden. »Haben Sie vielen Dank für Ihre Hilfe«, sagte sie und schrieb ihre E-Mail-Adresse
und Telefonnummer auf einen Zettel. »Wenn Ihnen noch etwas einfällt, lassen Sie es mich wissen.«
»Gern. Darf ich fragen, worüber Brad in Ihrem Seminar geschrieben hat?«
»Ja, natürlich«, antwortete Sweeney. »Er hat sich für Trauerschmuck interessiert, der Belinda gehört hatte.« Sie wurde nervös. Die Polizei konnte nur diesen Aspekt des Mordes so lange unter Verschluss halten.
»Ah, ich habe schon immer ein Faible für Trauerschmuck gehabt. Es gibt ein Porträt von ihr. Hängt im Museum der Schönen Künste. Von Sargent.«
»Wirklich? Ich kann kaum glauben, dass mir das noch nicht aufgefallen ist.«
»Das Museum hat es erst kürzlich erhalten. Eine Schenkung der Familie, glaube ich.«
»Ich werde heute Nachmittag mal vorbeischauen«, sagte Sweeney und bedankte sich. »Und wenn Ihnen noch etwas einfällt zu Belinda, teilen Sie es mir bitte mit.«
Der Tag hatte mit klarem Himmel und Sonnenschein begonnen und gegen Mittag waren es über zwanzig Grad. Sweeney mochte die Hitze nicht besonders und war froh, die Marmorhalle des Museums der Schönen Künste zu betreten. Die grauen und hellrosa Böden schienen die Wärme zu vertreiben, und sie schlüpfte unauffällig aus ihrer Sandale und kühlte die Fußsohle auf dem Steinboden.
Sweeney hatte im Laufe der Jahre so viel Zeit in dem Museum verbracht, dass es ihr jedes Mal so vorkam, als besuche sie einen Freund. Sie begrüßte die Bronzereplik von Frederick William Mac Monnies’ Bacchantin und junger Faun im Eingang und erinnerte sich an den Aufruhr, den die Originalskulptur verursacht hatte, als sie 1896 der Staatsbibliothek in Boston gestiftet worden war. Die nackte Frau, die Seil hüpfte, in der einen Hand Trauben und auf dem Arm ein nacktes Kind hielt, hatte die Stadt entzweit. Die einen nannten sie
eine Verherrlichung von Untugend und Hurerei, die anderen feierten sie als bedeutende Kunst.
Auf ihrem Weg die Rotunde hinauf grüßte Sweeney Bela Lyon Pratts Seerosenmädchen und Hiram Powers Büste der Untröstlichen Eva . Sie betrachtete eine Weile die von Sargent bemalte und mit Reliefs ausgestaltete konkave Kuppel. Jedes Mal, wenn sie Freunden das Museum zeigte und erzählte, dass die Wandmalereien von Singer Sargent stammten, stieß sie auf Ungläubigkeit, denn er war sonst eher bekannt für seine langweiligen Porträts von Frauen der Gesellschaft, die in die Ferne starrten.
Sie kam immer gern hierher und sah sich die Sargents an, besonders die Frauen. Seine Porträts der Bostoner Elite mit ihrer Kombination aus betuchter Umsicht
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