Der Totenschmuck
und eingesperrter Intelligenz sagten für Sweeney mehr über die Erfahrung, eine Frau zu sein, aus als eine ganze Bibliothek mit feministischen Texten.
Um die Erwartung, Belinda Putnams Porträt zu sehen, noch etwas hinauszuzögern, ging Sweeney nach unten in den Garten. Er war fast leer, die meisten Besucher waren vor der Hitze in die kühleren Hallen des Museums geflohen, aber Sweeney schlenderte über das Gelände und genoss das Plätschern der Fontänen um sie herum.
Sie setzte sich auf eine Steinbank und überlegte, ob Ian jemals diese Museum besucht hatte. Möglich war es durchaus, immerhin war er Kunsthändler, aber sie stellte sich vor, wie schön es wäre, wenn sie ihn zum ersten Mal herbringen und ihm alles zeigen würde, sein Gesicht sehen könnte, wenn sie ihn in die Rotunde führte, um ihm die Wandmalereien zu zeigen und sie danach in den Garten schlenderten.
Was hatte das zu bedeuten? Sie war sich nicht sicher, aber sie wusste, dass sie eine Entscheidung treffen musste, was sie mit dem Brief machen wollte. Er lag auf ihrem Küchentisch, und sie hatte ihn nicht wieder gelesen seit dem ersten Mal.
Als sie an Ian dachte, musste sie auch an die verwirrenden
Wochen in Vermont denken. Es herrschte Blindheit für die Dinge, die wirklich geschehen waren, und es schien, als ob das auch ihre Gefühle für ihn beeinflusst hätte.
Sie hatte sich zu ihm hingezogen gefühlt - oder? Oder waren das ganz einfach die Morde? Sie hatte festgestellt, dass eine Krisensituation ein ganz eigenes Universum schuf. Man kann nicht darauf vertrauen, wie man zu jemandem in einer Krise gestanden hat, oder doch? Sie wusste beim besten Willen nicht, was sie für ihn empfand. Sie wusste es nicht. Und so lange konnte sie auch nichts unternehmen.
Er war so anders als Colm. Das hatte sie so aus dem Konzept gebracht, dachte sie. Sie hatte Colm geliebt, weil er laut und rau gewesen war, viel getrunken und intensiv gelebt hatte. Ian war … anders.
Dann waren da noch ihre etwas verwirrten Gefühle für Jack Putnam. Sie war sich bewusst, dass sie sich darauf gefreut hatte, ihn wiederzusehen, als sie ihn nach dem Gedenkgottesdienst auf dem Familiensitz getroffen hatte. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen, aber es war auch schwer vorstellbar, dass jemand, der sich für das männliche Geschlecht entschieden hatte, ihn unattraktiv fand. Aber da war noch etwas, ein leichtes Gefühl, sich selbst wiederzuerkennen. Als sie sich mit ihm auf Katies Hochzeit unterhalten hatte, hatte sie sich in seiner Gegenwart sofort wohl und geborgen gefühlt.
Bei einem Drink hatten sie über ihre jeweiligen Verflossenen geplaudert und darüber gelacht, dass sie von ihnen gehasst wurden. Sie waren auf dem Rasen gestanden, während er geraucht hatte, und sie hatte sich so lebendig gefühlt wie seit Monaten nicht mehr. Mit Schrecken war ihr klar geworden, dass er sie an Colm erinnerte. Er hatte die gleiche Lebenslust, die gleicht tiefgehende Kreativität, die gleicht Direktheit gehabt.
Sie schöpfte Atem. Diese Gedanken überforderten sie, und sie beschloss, lieber die Familie Putnam zu fokussieren.
Sie ging wieder in das Museum hinein zu den Sargents,
die im Erdgeschoss hingen. Sweeney suchte den Raum rasch nach dem Porträt von Belinda Putnam ab. Es war das einzige, das sie bisher noch nicht gesehen hatte, und sie entdeckte es sofort. Quer durch den Raum betrachtet machte es einen sehr düsteren Eindruck, im Hintergrund eine braune Tapete und Möbel, die mit ihrem dunklen Kleid harmonierten. Aber als Sweeney näher trat, fiel ihr der schwache Glanz im Haar und im Kleid der Dame auf.
Das Porträt zeigte Belinda Putnam im Alter von ungefähr sechzig Jahren, das braune Haar leicht ergraut. Sie saß auf einem niedrigen Sofa, aufrecht, als hätte sie einen Besenstiel im Rücken, ihre Hände im Schoß gefaltet, den Blick unbeirrt und fast ein wenig herausfordernd aus dem Bild nach vorn gerichtet.
Wenn Sweeney die Porträts dieser Damen, und speziell dieser vornehmen, betrachtete, war sie oft tief beeindruckt davon, wie greifbar die Abwesenheit ihrer Ehemänner war. Die Künstler hatten auf subtile Weise Sexismus in ihre Arbeiten integriert, hatte Sweeney stets gedacht. Aber in Belindas Porträt war davon nichts zu finden. Es zeigte Belinda vielmehr als ein vollständiges, unabhängiges Subjekt.
Für Sweeney war der Schmuck das Wichtigste an dem Porträt, den Belinda Putnam an dem Oberteil ihres Kleides trug.
Es war die Brosche.
Sweeney erkannte sie sofort
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