Der Totenschmuck
Kanne auszuwaschen. Er hatte ein extra tiefes Spülbecken in seinem Atelier im ersten Stock, aber es war vollgestellt mit in Terpentin eingeweichten Pinseln, so dass er sich entschied, mit der Kanne in den größeren Teil des Hauses im zweiten Stock hinüberzugehen.
Es war ein herrlicher Frühlingstag, der Himmel klar und blau, die Sonne schien übermütig und konstant durch die großen Fenster im Wohnzimmer. Er weichte die Kaffeekanne in der Spüle ein und ging auf die Dachterrasse. Sein Oberkörper war nackt - er liebte es, so zu arbeiten, ganz gleich, wie kalt es war. Er drehte der Sonne den Rücken zu, schloss die Augen und genoss die Wärme auf seinem Rücken.
Es war der erste sinnliche Genuss, den er sich gönnte, seit der Nacht, in der Brad gestorben war. Nun, vielleicht der zweite. Er hatte sich schließlich erlaubt, die Unterhaltung mit Sweeney St. George zu genießen, das Gefühl, sanft ihren Arm zu fassen, um sie im Anschluss an den Gedenkgottesdienst die Außentreppe zum Haus hinaufzugeleiten. Er hatte sich eine kurze erotische Fantasie gestattet, als sie die Treppe wieder hinuntergegangen waren, hatte sie verscheucht und sich schuldig gefühlt. Aber dieser kurze Augenblick seiner Fantasie begleitete ihn, seine Intensität neckte ihn. Er hielt ihre Arme über ihren Kopf, presste sie gegen das Kopfteil seines Bettes. Unter ihm konnte sie kaum ihre Beine bewegen, und sie tat so, als versuchte sie sich zu befreien, als er ihren Nacken küsste … Die Fantasie wurde ein paar Sekunden lang vor seinem inneren Auge abgespult, bevor er sich zwang, nicht mehr an sie zu denken.
Er hatte überlegt, sie anzurufen. Er fand die Vorstellung schön: zu trinken, zu reden, und wenn sie es zuließ, ein paar Momente physisches Entkommen. Wieder verscheuchte er das Bild von ihren über den Kopf gereckten Armen. Es würde sich gut anfühlen. Aber er war sich nicht sicher, ob sie es begrüßen würde, wenn er so offensiv war.
Sie war eine seltsame Person. Sie hatte etwas Wildes an sich, das war ihm sofort aufgefallen, aber da war noch etwas anderes, was ihn misstrauisch machte. Warum interessierte sie sich so für Brad? Er erinnerte sich, wie Brad über sie und über ihr Seminar gesprochen und rot geworden war, wenn er ihren Namen erwähnt hatte. Jack hatte ihn damit aufgezogen. »In die Professorin verknallt, Bradley?«, hatte er ihn gefoppt. Brad war ärgerlich geworden und hatte ihn in den Arm geboxt. War es möglich, dass sie auch etwas an Brad gefunden hatte? War sie deshalb so darum bemüht herauszufinden, wer ihn umgebracht hatte?
Wie auch immer, er würde sie vielleicht doch anrufen. Er hatte so ein unbestimmtes Gefühl gehabt, unmittelbar nachdem sie sich begegnet waren, dass sie etwas voneinander wussten, dass sie auf den Großteil des üblichen Smalltalks am Anfang verzichten konnten und zu dem Teil einer Beziehung übergehen konnten, der ihm gefiel, die Gemeinsamkeit, körperliche Vertrautheit und die Vorfreude auf das gegenseitige Verlangen.
Gewärmt von der Sonne schlug er die Augen auf, stieg die Treppe wieder hinunter und trat in die Küche, wo er die Kanne ausspülte und in sein Atelier zurückkehrte.
Als er auf der Treppe stand, sah er, was die Figur wirklich verkörperte.
Es war Brad, der mit fixierten Handgelenken und gekrümmtem Rücken auf seinem Bett lag.
»Oh Gott«, brüllte er und stürzte auf die Figur zu, als wäre sie ein Mensch, den er retten könnte, wenn er rechtzeitig bei ihm sein konnte. Stattdessen nahm er eine Handsäge von seiner Werkbank und machte sich an die Zerstörung, riss die Säge über die Glieder der Figur. Er hackte und bohrte in das Holz, zersplitterte es und schnitt sich in die Hand, als die Säge einen Bolzen erwischte. Das Blut tropfte auf das rote Holz, doch er arbeitete weiter, bis er die Figur bis zur Unkenntlichkeit zerstört hatte.
Dann taumelte er mit zitternden Händen zum Aktenschrank in einer Ecke des Ateliers. Er erlaubte sich nie, vor vier Uhr zu trinken, bevor er seine Arbeit beendet hatte. Diese Vorschrift hatte er sich selbst gemacht, und er hatte kein einziges Mal gegen sie verstoßen.
Doch jetzt griff er nach einer Flasche Wodka, die er dort aufbewahrte. Es war Stoli, halbleer, die Flüssigkeit glitzerte hinter dem Glas, als er mit Mühe den Schraubverschluss aufdrehte. Er setzte sie an seine Lippen und trank direkt aus der Flasche, ohne von dem Protest seines Magens Notiz zu nehmen. Er trank und trank, trotz des Würgereizes, trotz des Brennens in
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