Der Totenschmuck
ja auch eine Riesin.«
Sweeney streckte ihm die Zunge raus.
»Ich bin total auf die Ermittlungen in dieser Mordsache fixiert«, tat Lily kund. »Ich lese jeden Tag die Zeitungsmeldungen, obwohl es gar nichts Neues gibt. Was meinst du, warum die Polizei mit ihrer Suche nach dem Mörder nicht weiterkommt?«
»Ich weiß es auch nicht«, gab Sweeney zurück. »Ich denke, es gibt keinen Tatverdächtigen. Und die Familie legt den Ermittlern alle möglichen Steine in den Weg.«
»Du meinst doch nicht, dass es jemand aus der Familie getan hat?«, fragte Lily bestürzt.
»Nein.« Sweeney musste vorsichtiger sein. »Die Polizei hat wohl schon Schwierigkeiten damit, an einfache Informationen zu kommen, wie etwa, mit wem Brad befreundet gewesen ist.«
»Wie es den Putnams wohl geht?«, überlegte Lily. »Du kennst sie doch, Sweeney, oder?«
»Ein bisschen. Ich weiß allerdings nicht, wie es ihnen gerade geht. Ich denke, bei so einer Familie ist es nie einfach zu wissen, was sie denkt. Sie standen so lange im Licht der Öffentlichkeit.«
»Daran habe ich gedacht, als du mir von der Beerdigung erzählt hast«, sagte Toby. »Wie furchtbar, die ganzen Reporter dabeizuhaben.«
Toby und Lily hatten schon bestellt, und als der Kellner mit den kleinen Tapas-Tellern kam, machten sich alle darüber her. Sweeney kaute genüsslich weißen marinierten Spargel, als ihr eine Idee kam.
»Lily, weißt du noch, wie du mir von deiner Arbeit mit DNA erzählt hast? Äh, kann ich dich dazu etwas fragen?«
»Klar.«
»Hast du schon mal etwas richtig Altes getestet? Zum Beispiel eine Haarprobe von jemandem, der schon länger tot war? Wäre das denn rein theoretisch überhaupt möglich?«
»Was meinst du mit länger?«
»Hundertfünfzig Jahre ungefähr.«
»Ich hatte ein paar Proben, die waren so alt. Das ist allerdings eine recht knifflige Sache. Hättest du denn das Haar noch mit der Haarwurzel?« Lily lächelte sie verschmitzt an.
»Das weiß ich nicht«, entgegnete Sweeney.
»Nun, wenn du die Wurzel nicht mehr hast, können wir
einen mitochondrischen Test machen. Aber damit kann man nur die Erbanlagen mütterlicherseits ermitteln.«
»Und wenn ich eine Verbindung zu der väterlichen Linie herstellen will?«
»Dazu braucht man die Haarwurzel, und die muss unter sehr guten Bedingungen aufbewahrt worden sein. Auch dann ist es noch fraglich, in welchem Zustand das Material ist. Ich schätze, die Chance auf Erfolg ist fifty-fifty.«
»Wovon hängt der Zustand der Haarprobe denn ab?«
»Hitze, Feuchtigkeit und Ähnliches. Das ist schwer zu sagen.«
Toby warf Sweeney einen misstrauischen Blick zu. »Du denkst doch etwa nicht …«
»Nein. Ich bin nur neugierig«, gab Sweeney zurück, als die zweite Runde Sangria gebracht wurde und sie das Thema wechselten.
Toby und Lily wollten sich einen Film ansehen und fragten Sweeney, ob sie sich anschließen wollte, doch sie war nicht in der richtigen Stimmung, das dritte Rad am Wagen zu sein. Als sie zur Straßenbahnhaltestelle zurückschlenderte, mischte sie sich unter die Passanten, genoss den lauen Abend und dachte über den Schmuck nach. Jetzt wusste sie, dass es einen Weg gab herauszufinden, ob Charles Putnam Edmund Putnams Vater war. Doch wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass das Haar in der Kette oder dem Medaillon mit der Wurzel entfernt worden war? Vermutlich äußerst gering. Noch geringer war die Wahrscheinlichkeit, dass es all die Jahre angemessen aufbewahrt worden war. Es war also so gut wie ausgeschlossen, dass es funktionierte. Ohnehin müsste sie sich zunächst irgendwie den Zugang zu dem Schmuck verschaffen, was bedeutete, Quinn danach zu fragen. Das war unmöglich.
Sie spazierte die Newbury Street entlang, als sie über einem Fenster einer zweistöckigen Galerie die gemalten Buchstaben JACK PUTNAM. ARBEITEN AUS HOLZ UND METALL.
IN DER DAVIS GALLERY las. Hinter den Fenstern gingen die Besucher auf und ab. Es war erst neun und vielleicht lag es an der warmen Luft, dass Sweeney noch nicht nach Hause gehen wollte. Sie stieg die Treppe in den zweiten Stock hinauf und fand sich in einer weitläufigen Galerie mit graziösen Skulpturen aus hellem Holz wieder, deren Gliedmaßen durch Klammern miteinander verbunden waren und deren anmutige Haltungen an tanzende und sich umarmende Paare erinnerten.
Sweeney betrachtete die Exponate und begegnete der Frage eines Mitarbeiters der Galerie, ob sie Hilfe bräuchte, mit einem freundlichen »Ich sehe mich nur um, danke«.
Sie stand vor
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