Der Totenschmuck
einer irritierenden Skulptur, in fötal-gekrümmter Haltung, die entfernt an menschliche Formen erinnerte, als sie merkte, dass jemand hinter sie trat. »Sehr seltsam, oder nicht? Da muss man sich schon ernsthaft Gedanken über den Künstler machen.«
Sweeney drehte sich um und grinste. »Absolut. Ich bin drauf und dran, wegen des verrückten Künstlers die Polizei zu rufen und ein psychologisches Gutachten anzufordern.«
Jacks Haar war noch nass vom Duschen und er trug eine schwarze Lederjacke. Er hatte sich einen hellblauen Pulli wie einen Schal über die Schultern geschlungen, der seine blaue Augenfarbe hervorhob.
»Begutachten Sie Ihre Arbeiten?«, fragte Sweeney. Sie wusste zwar nicht, weshalb, aber es machte sie verlegen, dass er sie hier angetroffen hatte, verlegen, weil er wusste, dass sie sich die Mühe gemacht hatte, mehr über seine Person herauszufinden, verlegen, weil sie sich so stark zu ihm hingezogen fühlte. »Um sicherzugehen, dass sie sich gut verkaufen?«
»Das wäre schön. Die Galerie hat mich angerufen, weil jemand ein Kaugummi auf eine meiner Arbeiten geklebt hat.«
»Nein!«
»Doch. Ich musste es wieder abkratzen. Da haben sie sich nicht rangetraut.«
»Das ist ja schrecklich.« Sweeney amüsierte sich im Stillen über die Vorstellung, dass jemand in einer Nobelgalerie ein Kaugummi auf eine Skulptur klebte. Hatte derjenige protestieren wollen oder nur kein Taschentuch zur Hand gehabt?
»Da haben Sie Recht.« Er sah sich um und musterte anschließend Sweeney. Er war blass und schmaler als bei ihrem letzten Treffen, als wäre er krank gewesen. Schweigend betrachteten sie die Skulptur und Sweeney dachte, dass die gleichen Gefühle wieder in ihm aufstiegen, die er empfunden hatte, während er daran gearbeitet hatte. Die Arbeit war überwältigend und machte Sweeney tieftraurig. Sie musste daran denken, wie sie die Tage nach Colms Tod auf dem Bett gelegen hatte, zu einem Ball zusammengerollt und versucht hatte, alle Gefühle hinter sich zu lassen und zu einem Zustand jenseits von allem Sinn zurückzukehren.
»Ich kannte Ihre Arbeiten gar nicht«, sagte Sweeney. »Aber mir gefallen sie sehr. Sie erinnern mich an diese kleinen beweglichen Holzfiguren, die man in verschiedene Positionen biegen kann. Obwohl, das klingt ja grauenhaft … So habe ich das nicht gemeint … Ich mag Ihre Skulpturen wirklich.«
»Nein, nein. Ursprünglich kommen sie aus der Ecke. Ich hatte auf einer Uni für Postgraduates mal ein Seminar über figurative Skulpturen belegt und habe mit einem dieser kleinen Männchen gearbeitet. Ich habe ihn Pablo genannt und habe gemerkt, dass Pablo mich viel mehr interessiert hat als die Arbeit, die ich eigentlich anfertigen wollte. Ich habe mich schon immer mit Holzarbeiten beschäftigt und beschlossen, ein Modell von mir zu machen. Aber ich konnte die Proportionen nicht richtig berechnen und habe ein riesengroßes gemacht. Irgendwie hat mir das so gut gefallen, dass ich mehr Holz besorgt und einfach weitergemacht habe.«
Sweeney trat vor eine hoch gewachsene männliche Figur,
die mit hinter dem Rücken verschränkten Händen in den Himmel blickte.
»Diese hier erinnert mich an Giacometti«, sagte sie. So wie die Figur mit ihren langen Extremitäten aufmerksam dastand, rief sie Assoziationen zu den melancholischen, in großen Schritten eilenden Objekten wach.
Er schien sich zu freuen. »Wegen Ihnen werde ich jetzt ganz rot. Giacometti ist eines meiner Vorbilder.«
»Wie machen Sie die Figuren denn?«
»Ich kaufe Holzblöcke und bearbeite sie mit verschiedenen Sägen. Danach behaue ich die einzelnen Teile, um die feineren Details herauszuarbeiten, schmirgele sie, beize und lackiere sie anschließend. Dann setze ich sie zusammen. Wissen Sie was? Warum zeige ich Ihnen eigentlich nicht mein Atelier? Sie können sich dort umsehen, und ich kann vielleicht noch einen Drink auftreiben. Ich arbeite hier gleich um die Ecke.«
»Na ja …«
»Kommen Sie schon. Ich bin ein bisschen deprimiert nach der Kaugummigeschichte.«
Sweeney musste lachen. »Ich glaube, ich kann Sie in Ihrer kaugummibedingten Depression wirklich nicht alleine lassen. In Ordnung.«
»Prima.« Er grinste, sie winkten den Angestellten der Galerie zum Abschied und gingen die Newbury Street entlang, schlugen die Fairfield und dann die Commonwealth Avenue ein.
Sie querten die Straße, gingen am Einkaufszentrum vorbei und standen schließlich vor einer großen Jugendstilvilla aus Backstein. »Von außen sieht es
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