Der totgeglaubte Gott
es durchaus so sein, dass Gott nicht derart deutlich in der Natur zu erkennen ist.« 13
Pascal sah den christlichen Glauben, wie seine paulinischen Vorläufer, ständig von der griechischen Philosophie in all ihren Formen bedroht und in einen regelrechten Kampf um die Reinheit des Evangeliums verstrickt. Wie viele christliche Denker und Heilige – die frühen Kirchenväter in Alexandria, ja sogar der heilige Thomas von Aquin – waren der Versuchung erlegen, den Glauben zu rationalisieren! Sogar große Geister wie sie vergaßen offensichtlich schnell, dass der Pfad zu Gott in die Natur hinein, nicht durch sie hindurch führte. Pascal war ein wichtiger Denker, da er die Entdeckungen der modernen Naturwissenschaft nicht leugnete. Er blickte ihnen direkt ins Gesicht, ja trug sogar dazu bei. Und er war, was ihre Konsequenzen anging, sicher aufrichtiger als seine rationalistischen Gegner. »Das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume erschreckt mich.« 14 Doch aus dieser Erschütterung heraus fand er Gründe zu glauben. Ohne die kindischen Versuche der Naturtheologen, Gott mithilfe der Anordnung der Sterne oder der Vermehrung der Fruchtfliegen zu beweisen, war der Mensch nun endlich frei, sich selbst und seinem Gott gegenüberzutreten, direkt und ohne jegliche Vermittlung – weder durch die Natur noch durch die Theologie oder die Kirche oder die christliche Politik.
Aus der Rückschau gesehen haben die rationalistischen und proto-existentialistischen Bestrebungen im Denken des 17. Jahrhunderts den grundlegenden Widerspruch innerhalb der christlichen Offenbarung noch verschärft. Den Widerspruch zwischen einem nahezu immanenten Gott, der sich in seinen Werken zeigt, und einem fast vollständig abwesenden, der »aus den unendlichen Räumen« Pascals heraus direkt mit der Seele in Verbindung tritt. Es gelang ihnen jedenfalls nicht, diesen Widerspruch aufzulösen. Aber sie machten jeweils auf ihre Art ihren Frieden mit den Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaft. Das jedenfalls war ein Novum. Die Rationaltheologen fanden darüber hinaus einen Weg, rationale politische Gesetze und Institutionen als imitatio einer rationalen göttlichen Schöpfung zu fassen. Doch Blaise Pascal ließ keinen Zweifel daran, dass das Christentum immer noch weg vom öffentlichen Leben und hinein in die innere Frömmigkeit der Seele strebe. Was der heilige Paulus und Kirchenvater Augustinus gelehrt hatten, fand in Pascal einen modernen Widerhall.
Am Ende sollte es kein neues christliches Weltbild geben, das nach der wissenschaftlichen Revolution die mittelalterliche Vorstellung vom Nexus zwischen Gott, Mensch und Welt ersetzen konnte. Allerdings entstand auch keine säkulare Neuinterpretation der Welt. Es stimmt nicht, wie viele Historiker und Philosophen behaupten, dass wir uns nun anhand eines neuen kosmologischen Bildes orientieren, das die Wissenschaft geschaffen hat. Wir haben nie in einer kopernikanischen, Newton‘schen oder Einstein‘schen Welt gelebt. Allein die Tatsache, dass wir mehrere »Welten« aufzählen können, zeigt doch schon die Problematik auf: Wir haben »die Welt« verloren, wenn wir damit das »Ganze« der Natur meinen, von dem die Griechen und die frühen Christen dachten, dass sie Gott und die Menschen verbindet. Stattdessen lebt der moderne Mensch mit einer Abfolge von Hypothesen über den Kosmos und muss sich damit abfinden, dass das Weltbild, das heute noch als richtig gilt, morgen schon total veraltet sein kann. Hier wird dann gerne ein Argument vorgebracht, das viele antimoderne Denker vertreten: nämlich dass dieser Verlust »der Welt« als Ganzes und unser Leiden daran eben die moderne Zivilisation charakterisiere. Es mag auch richtig sein, was andere sagen, dass nämlich in der Moderne der Begriff der Geschichte den »der Welt« ersetzt hat – was ebenso verstörende Folgen hat. Doch ob man diese letztlich pessimistischen Weltbilder nun akzeptiert oder nicht, Fakt ist, dass die moderne Wissenschaft die uralte Verbindung zwischen Gott und Mensch unterbrochen hat.
Und dies war eine notwendige Voraussetzung für das Entkommen aus dem Käfig der christlichen Theologie, doch keineswegs die einzige. Konnte der Mensch an die Analogie zwischen der menschlichen Welt und der Harmonie der Planeten oder der natürlichen Ordnung der Arten auch nicht mehr den Anspruch richten, in ihr die Offenbarung des göttlichen Willens über sein politisches System zu sehen, so durfte er doch immer noch erwarten, dass Gottes
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