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Der totgeglaubte Gott

Der totgeglaubte Gott

Titel: Der totgeglaubte Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Lilla
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Rolle spielen mögen, dass aber die grundlegenden Prinzipien von Religion in fast allen Zivilisationen ähnlich seien. Sie stellten die interessante Theorie auf, dass eine großmütige Kraft ( spermatikos logos ) göttliche Samen in die Seele der Menschen pflanze, die sich dann in aller Welt zu ähnlichen ethischen und religiösen Prinzipien entwickelten.
    Die Bibel nahm diesen Theorien gegenüber einen klaren Standpunkt ein: Jede einzelne dieser Theorien und alle zusammen mochten richtig sein – für das Heidentum. Die traditionelle Haltung der Theologen zu den religionsphilosophischen Gedanken der alten Griechen und Römer lässt sich in einer simplen Frage zusammenfassen: Was konnte man von Leuten, die an ein heidnisches Pantheon mit vielen Gottheiten glaubten, schon erwarten? Die Heiden wussten es nicht besser, da sie das Wort des einzig wahren Gottes nicht hören wollten. Daher konnten sich ihre Überlegungen über das Phänomen der Religion nicht auf den wahren Glauben und Gottesgehorsam beziehen. Gott hatte in der Bibel sein Wort offenbart, um zu verhindern, dass noch mehr Menschen diesen »Religionen« verfielen. Jede der biblischen Religionen sieht sich als Überwinderin dieser menschlichen Neigungen. Das Judentum sieht sich selbst als auserwählte Nation, die über die heidnischen Kräfte im Nahen Osten triumphierte. Das Christentum glaubt von sich, den Ritualismus und die narzisstische Haltung des Judentums korrigiert und das Tor des Heils für alle Völker aufgestoßen zu haben. Die Protestanten rechnen sich den Sieg über die »Hure Babylon« an, die heidnische Tendenzen im Schoße der Kirche fortleben ließ. Und der Islam ist überzeugt, dass er jede Untreue zu dem einen Gott und seinem Propheten überwinden wird. Jede der biblischen Religionen hält es für ausgemacht, dass sie den wahren Glauben vertritt und somit keine »Religion« ist.
    Wenn die biblischen Religionen sich überhaupt zum Ursprung der menschlichen Religiosität auslassen, dann nur, wenn es um den sogenannten »Götzendienst« geht. Und ihre Intentionen dabei sind teils polemischer, teils hygienischer Natur. Das Judentum z. B. hat eine lange Tradition des Nachdenkens über den Götzenkult entwickelt, der im Alten Testament eine wesentliche Rolle spielt. Auch gibt es umfangreiche Überlegungen zur Unterscheidung von echten und falschen Propheten. Maimonides z. B. legte eine Reihe von Regeln fest, nach denen man Propheten beurteilen sollte. Seiner Ansicht nach entwickelte sich der Götzendienst aus dem Verfall einer Art Urmonotheismus, den Abraham später wiederbelebte. Jene Aspekte der Bibel, die Reste heidnischen Denkens aufweisen, erklärte er folgendermaßen: Gott habe die Lehre für Menschen einfachen Geistes anpassen müssen, die immer noch mit einem Fuß im heidnischen Glauben stünden. Doch die muslimische Theologie war lange vor Maimonides zum selben Schluss gekommen. Doch keine dieser Traditionen stellt sich der anthropologischen Frage: Warum ist der Mensch überhaupt religiös? Und gibt es eine Verbindung zwischen echter Religiosität und der Neigung zum Götzendienst?
    Dieser Frage widmete sich vor allem das Christentum, mehr jedenfalls als das Judentum und der Islam. Das lag vermutlich daran, dass das Christentum sich von Anfang an gegen zwei verschiedene Richtungen abgrenzen musste: zum einen gegen den heidnischen Glauben der Römer, zum anderen gegen das Judentum. Im Versuch, sich von beiden Religionen abzuheben, musste das Christentum Erklärungen finden. Ersteren galt es vollständig zurückzuweisen, Letzteres nur bedingt. Eine Begründung dafür fand das frühe Christentum im Phänomen des Stolzes, der für den Sündenfall und alle folgenden Formen des Götzendienstes verantwortlich war. Der heilige Paulus führte dies am Beginn seines Römerbriefes genauer aus. Gott habe sich allen Völkern gleichermaßen gezeigt, doch diese hätten ihn nicht erkannt und sich stattdessen vor Götzenbildern verneigt. »Sie behaupteten weise zu sein, und wurden zu Toren.« Sie hätten das Werk ihrer eigenen Hände für höher geschätzt als das des Schöpfers 15 . Der heilige Augustinus und später der heilige Bonaventura beschritten andere Wege. Sie nahmen eine kleine Anleihe bei den Stoikern und führten aus, dass Gott die Seele von innen her erleuchte. Die Erkenntnis, was Götzendienst sei, erwachse dem Christen von dieser inneren Erleuchtung. Diese Meinung teilte im 13. Jahrhundert der heilige Thomas von Aquin. Er stützte sich auf

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