Der totgeglaubte Gott
frühen Neuzeit, der sich mit dieser Thematik auseinandersetzte, war zweifellos der englische Edelmann Edward Herbert von Cherbury. Er stellte fest, dass alle Religionen auf fünf Grundprinzipien fußen: der Existenz eines Gottes; dem Gebot, ihn anzubeten; der Verbindung von Frömmigkeit und Tugend; der Eliminierung des Bösen durch Buße und einem gerechten Urteil über unsere Bemühungen im Leben nach dem Tod 17 . Herbert führte diese grundlegenden Merkmale der Religion auf die Fähigkeiten des menschlichen Geistes zurück, wie er sie sah. Die Denker jedoch, die er beeinflusste, begnügten sich mit den Gemeinsamkeiten der sozialen Praxis. Denn wenn es diese gab, ließ sich das rationale Kernstück der Religion durch Beobachtung ermitteln und von den willkürlichen Dogmen unterscheiden, die sich in den einzelnen Religionen historisch herausgebildet hatten. Hatte man diesen rationalen Kern erst einmal erfasst, konnte man auf die Reform der Dogmen drängen, um sie der Vernunft anzupassen. Und man konnte Toleranz fordern, wenn Glaubenssätze in nebensächlichen oder »gleichgültigen« Dingen voneinander abwichen.
Diese Ideen der modernen Stoiker über die Religion übten einen großen Einfluss auf das moderne und politische Denken aus. Spätere Deisten wie John Toland und Matthew Tindal argumentierten nämlich, dass der rational-ethische Kern des Christentums strahlend hervortreten würde, sobald man die Religion von den Schlacken der Jahrtausende befreite. Liberale Denker wie Grotius konnten mit diesem Argument zu mehr Toleranz aufrufen, da die doktrinalen Differenzen nur die grundlegende Übereinstimmung in ethischer Hinsicht überlagerten und für das öffentliche Leben keine wirkliche Bedrohung seien. All dies waren zutiefst humanistische Argumente. Sie waren erste Anzeichen dafür, dass man sich den politischen Problemen, die das Christentum bedrängten, zuwenden konnte, ohne sich auf Diskussionen über den göttlichen Nexus einlassen zu müssen, wie die christliche politische Theologie dies tat.
Der religiöse Mensch III
Und doch weist auch die optimistische Religions-Konzeption der Stoa einen inneren Widerspruch auf. Wenn Religion der Ausdruck gemeinsamer ethischer Regeln ist, wenn sie aus dem menschlichen Bedürfnis nach Zusammensein und Kooperation entsteht, wenn sie diese soziale Bindung festigt und stärkt – wie konnte es dann zu Religionskriegen kommen? Warum hatte sich die Christenheit jahrhundertelang sinnlose Streitigkeiten über unwesentliche Lehrsätze, gewaltsame Fehden über kirchliche Autorität und schließlich sogar einen ausgewachsenen Religionskrieg über die wahre Bedeutung des Glaubens geliefert? Die Stoiker konnten hier anführen – und taten dies auch –, dass die theologisch-politischen Kämpfe der Christenheit aus einem grundlegenden Missverständnis über den rationalen Kern des Christentums hervorgegangen seien und dass selbstsüchtige weltliche und kirchliche Autoritäten den Aberglauben und Fanatismus der Menschen für ihre eigenen Zwecke genutzt hätten. Das mag durchaus richtig sein, doch die grundlegende Frage bleibt damit unbeantwortet: Was an der Religion lässt sich auf diese Weise missbrauchen und verdrehen? Der Optimismus der Stoiker wies einen Weg zu einer friedlicheren Zukunft für das christliche Europa. Doch er konnte den offensichtlichen Zusammenhang zwischen Religion, Politik und Gewalt der damaligen Zeit nicht erklären. Es gibt da mehr als nur eine dunkle Seite der Religion, als die Schulweisheit der Stoiker sich träumen lässt, vielleicht ja ein ganzes Reich.
Dieser dunklen Seite nahm sich im 16. und 17. Jahrhundert Thomas Hobbes an. Hobbes war ein Epikureer, und zwar ein moderner – hier ist diese Unterscheidung tatsächlich von Bedeutung. Der antike Epikureismus hatte zwar eine Reihe von philosophischen Theorien über den Menschen und den Kosmos entwickelt, letztlich aber war er eine geistige Bewegung, die dem Menschen ein glückliches Leben ermöglichen sollte. Die Epikureer sahen, dass der menschliche Geist unter Unwissenheit und Ängsten litt, die seinen Seelenfrieden störten und den kurzen Aufenthalt auf der Erde unnötig vergifteten. Um dieses Leiden zu verringern, habe der Mensch die Götter erfunden – was die Dinge aber verschlimmerte, denn der Aberglaube steigere unsere Furcht vor dem Ungewissen eher, als sie zu beruhigen. Die Epikureer hielten sich selbst für die großen »Maskenabreißer«. So vertraten sie bspw. die Ansicht, dass die
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