Der totgeglaubte Gott
muss, in vielen Dingen auch Francis Bacon verdankt) entscheidend mitgeprägt. Heute ist die Theologie an den Universitäten in verschiedene, nach Konfessionen gegliederte Fakultäten unterteilt, wo die einzelnen Glaubenssysteme zumindest annähernd gleichberechtigt und im Geist der Toleranz nebeneinander existieren können. Texte, die früher als »heilig« und damit unantastbar galten, werden jetzt von Philologen, Hermeneutikern und Historikern untersucht. Man kann letztlich nur spekulieren, was Hobbes wohl dazu sagen würde, dass sein gewaltiges »Reich der Finsternis« in neonbeleuchteten Seminarräumen auseinandergenommen wird.
Die Liberalisierung des Leviathan
Hobbes’ Leviathan wurde in den hundert Jahren nach seinem Erscheinen heftig kritisiert. Meist ging diese Kritik von den Kirchen und ihren politischen Theologen aus, die in Hobbes einen willkommenen Prügelknaben fanden, wenn sie die europäischen Leser daran erinnern wollten, dass es gefährlich sein konnte, die jahrhundertelang erprobten Institutionen des Christentums aufzugeben. Für Hobbes sei der Mensch wenig mehr als ein Tier, hieß es da, und es würde ihn noch mehr vertieren lassen, wenn man seinen Ratschlägen folgte. Er sei schlichtweg ein Materialist und leugne die Existenz der Seele, ja des Gewissens. Alle menschlichen Beziehungen, auch familiärer Natur, seien für ihn einzig Kampf um die Macht. Außerdem setze er einen »irdischen Götzen« auf Gottes Thron. Einzelne Autoren verdienten gutes Geld, indem sie Hobbes zwar dem Namen nach verunglimpften, ihre eigenen politischen Ideen aber auf der Grundlage seiner Gedanken entwickelten. Wichtig war nur, den Anschein zu erwecken, sie hätten den Anti- Leviathan geschrieben.
Unter Hobbes’ Kritikern, die seine Leistung gleichwohl anerkannten, finden wir eine Reihe von modernen Denkern, die wir als Vorläufer der liberalen Demokratie sehen. Die führenden Köpfe dieser Bewegung – Spinoza, Locke, Montesquieu, Hume, Tocqueville und die Autoren der Föderalistenartikel – arbeiteten sich beim Entwurf einer Gesellschaftsordnung, in der ein absoluter Herrscher wie im Leviathan unmöglich wäre, von Anfang an ab. In dieser neuen Ordnung sollte die Macht begrenzt, geteilt und von vielen getragen werden. Die Machthabenden würden diese an einem bestimmten Punkt friedlich an ihre Nachfolger abgeben, ohne Angst vor Vergeltung. Das öffentliche Recht würde die Beziehungen zwischen den Bürgern und Institutionen regeln. Alle Religionen dürften ohne Eingreifen des Staats gleichermaßen ausgeübt werden. Das Individuum würde gegenüber dem Staat und dem Mitmenschen unveräußerliche Rechte haben. Diese Gesellschaftsordnung haben wir im Westen heute als die unsere anerkannt und sie ist mit Sicherheit nicht, was Thomas Hobbes intendierte. Aber können wir wirklich sagen, dass sie dem Hobbes’schen Postulat diametral entgegengesetzt ist?
Nicht, wenn wir unser Augenmerk darauf richten, was er kritisieren, ja zerstören wollte. Sein oberstes Ziel war es, das Reich der Finsternis zu besiegen, den Komplex aus Kirche, Staat und Universitäten, der Politik und Bewusstsein in Europa über ein Jahrtausend lang geprägt hat. Zu diesem Zweck hat er eine neue Wissenschaft vom Menschen entwickelt, die die inneren Zusammenhänge zwischen religiösem und politischem Verhalten klären und ihre Verwurzelung im menschlichen Geist aufzeigen sollte. Doch obwohl seine wissenschaftlichen Erkenntnisse teilweise keine Anerkennung fanden, erreichte er, was er sich vorgenommen hatte. Er verlagerte den Fokus der theologisch-politischen Debatten des Christentums weg von der göttlichen Offenbarung und hin zur Frage, wie man jene menschlichen Leidenschaften kontrollieren und kanalisieren konnte, die aus der Sehnsucht nach Offenbarung erwuchsen. So gesehen waren Hobbes’ liberale Kritiker letztlich alle Hobbesianer.
Die Parallelen werden noch offensichtlicher, wenn wir die verschiedenen Dimensionen der Hobbes’schen Reformen genauer betrachten. Seine zweistufige Therapie inspirierte auch die liberalen Denker: Auch sie wollten den modernen Menschen frei sehen von Aberglauben und Gewalt, in die die politische Theologie unweigerlich führen musste. Sie wollten ihn wegführen von den metaphysischen Fragen, auf die er ohnehin keine Antwort finden konnte, und zu mehr praktischen Errungenschaften anregen. Der Unterschied zwischen den Liberalen und Thomas Hobbes lag weniger in der Strategie als in der Taktik. Die liberalen Denker gingen
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