Der totgeglaubte Gott
Instanz außer ihm, ob göttlich oder menschlich fürchteten, dann und nur dann wäre Frieden möglich. Aus diesem Grund bezeichnete Hobbes diesen absoluten Souverän als »irdischen Gott« 24 . Für Hobbes’ Zeitgenossen war dies eine zutiefst schockierende Aussage, da der Philosoph offensichtlich wollte, dass weltliche Herrscher die Kontrolle über die Christenheit bekämen und den christlichen Glauben als »Staatsreligion« nutzten, die sich einzig an Zielen der Staatsräson ausrichtete. Es würde keine unabhängige Kirche mehr geben und folglich keine Konflikte mehr zwischen Tiara und Krone. Der Herrscher würde das totale Monopol über kirchliche Angelegenheiten ausüben, dazu gehörten auch die Anerkennung von Prophezeiungen und Wundern sowie die Auslegung der Heiligen Schrift. Und natürlich wäre auch der Heilsweg klar: vollkommener Gehorsam ihm selbst gegenüber.
Der zweite Teil von Hobbes’ Therapie war die Reform der Philosophie und der Wissenschaften, allen voran der Universitäten. Denn für Hobbes war die mittelalterliche Universität die Hauptstadt dessen, was er das »Reich der Finsternis« nannte, eine Stadt, in der eine Ansammlung von Betrügern lebte, die ständig neue dunkle, fantastische Glaubenssätze ersann, um damit den Geist der Menschen unter Kontrolle zu bringen. Licht könne nur dann ins Ganze gebracht werden, wenn die Neuinterpretation des Christentums durch den Herrscher zum neuen Lehrplan werde. Die alten Lehren von der Seele, von Leben und Tod, Dämonen, Gewissen, der Wiederkunft Jesu Christi und so weiter sollten verworfen und durch solche ersetzt werden, die zum Gemeinwohl beitragen. Der komplette Aristoteles würde in den Papierkorb der Geschichte wandern, mitsamt seinen mittelalterlichen Kommentatoren – als »unbedeutende Rede«, wie Hobbes das nennt. Und auch die anderen antiken Philosophen würden, von einigen nützlichen Werken über Geometrie einmal abgesehen, den Weg alles Irdischen zu gehen haben.
Was aber würde noch gelehrt werden, wenn Hobbes sich durchsetzen sollte? Experimentelle Naturwissenschaft und der Leviathan , die Grundlage der Politikwissenschaft, die nach Hobbes die Königsdisziplin der Wissenschaften ist, lehrt sie die Herrscher doch, wie sie Frieden schaffen können, und macht damit für alle anderen Wissenschaftler den Weg frei, um ihre Arbeit zu tun. Der Leviathan aber zeige mit geometrischer Präzision, wie eine Welt beschaffen sein müsse, in der das Individuum, frei von Furcht vor seinen Mitmenschen und vor der ewigen Verdammnis, sich ganz der weltlichen, aber lohnenden Aufgabe widmen könne, sein Schicksal zu verbessern. Denn dieses Leben in Freiheit sei das wahre Los des Menschen vor der Erfindung der Götter gewesen.
Diese Freiheit hat nur einen Haken, doch der ist vergleichsweise gravierend: der allmächtige Herrscher, der »irdische Gott«, dessen Macht keinerlei Beschränkung unterworfen ist. War dies denn tatsächlich eine Verbesserung im Vergleich zu dem Chaos, das die Christenheit zu Hobbes’ Lebzeiten durchlitt? Man hat in Hobbes’ Souverän immer wieder die Wiederbelebung des Cäsaropapismus der Ostkirche unter den Vorzeichen eines weltlichen Evangeliums sehen wollen. Oder gar eine Art unheimlicher Vorahnung des politischen Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Doch wenn wir Hobbes’ Absichten und seine Leistung korrekt einschätzen wollen, müssen wir die Thesen des Leviathan in ihrer Gänze würdigen. Denn der Umgang mit Religion und Politik in modernen liberalen Demokratien wäre unvorstellbar ohne den entscheidenden Bruch im Denken, den Thomas Hobbes herbeigeführt hat.
Zunächst einmal verdanken wir Hobbes, dass der Gegenstand des politischen Diskurses im Westen sich gewandelt hat. Nach mehr als einem Jahrtausend politischer Theologie des Christentums zeigte Hobbes einen Weg auf, über Religion und Gemeinwohl zu sprechen, ohne auf das Band zwischen Gott, Mensch und der Welt zurückzugreifen. Dass wir heute über »Religion« reden können und nicht über »wahren Glauben«, »das Gesetz« oder »die Offenbarung« sprechen müssen, liegt zum größten Teil an Thomas Hobbes. Weit mehr als seine Vorläufer in der Renaissance wie Machiavelli oder seine Zeitgenossen aus dem Stoiker- bzw. Deistenlager lehrt er uns, misstrauisch zu sein, wenn jemand religiöse Gründe für öffentliches Handeln anführt. Er weist uns darauf hin, dass wir uns fragen sollten, weshalb diese Menschen glauben, was sie glauben. Auf den ersten Seiten des
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