Der träumende Diamant 1 - Feuermagie
sich mit der Zunge über die Lippen. Sie wandte den Blick ab und suchte nach der Waschschüssel und dem Wasserkrug in der Nähe. Dann stand sie auf, um ihm einen Becher einzuschenken.
»Trink das.«
Das tat er auch voller Durst und hob die Hände, um ihre damit zu umfassen.
»Maus«, wiederholte er und suchte ihren Blick. Sein Mund war zu einem schiefen Lächeln verzogen. »Vielleicht wirst du nun doch nicht Lady Langford sein.«
»Wo ist die Salbe?«, erkundigte sie sich.
»Zu spät«, entgegnete er sehr leise. »Geh, solange du noch kannst.«
»Was meinst du?«
Seine Augen schlossen sich. »Ich liebe dich«, sagte er, und sein Körper wurde schlaff. Dann vollzog er die Wandlung.
Es war grausam und drängend und hatte nichts von der Beherrschung, die sie sonst bei ihm gewohnt war, sondern war etwas Mächtiges, Unkontrolliertes. Sie spürte, wie die Luft mit einem zischenden Geräusch aus ihm entwich, und sie konnte durch ihn hindurchsehen. Es gab ein sonderbares Röcheln, das die Welt erschütterte, und dann … dann war er verschwunden.
Rue wirbelte entsetzt herum, suchte im ganzen Zimmer, an der Decke, ließ sich auf die Knie fallen, um den Boden unter dem Bett zu überprüfen, aber er war wahrhaftig nicht mehr im Zimmer.
Sie rannte zum Fenster. Die angeschlagene Scheibe war nun von einem weißen Spinnennetz von Rissen überzogen. Dahinter lag nichts als ein blassblauer Himmel … Und dort oben, hoch, hoch oben … gab es eine einzige Wolke am Himmel.
Herte funkelte zwischen den Laken. Sie griff nach dem Stein und stopfte ihn zurück unter die Matratze, dann verwandelte sie sich und zwängte sich durch das geborstene Glas, um sich hinauf in den Himmel zu schrauben.
Er ritt nicht mit dem Wind. Sie folgte Christoff, so rasch sie es wagte, wusste aber, wie es für jeden unten am Boden aussah. Echte Wolken bewegten sich nicht willentlich. Man hätte sie auch für sonderbare Dampf- oder Rauchwolken halten können, die von einem noch immer schwelenden Feuer stammten, aber sie würden sich nicht auflösen.
Christoff zuckte heftig und drehte sich in unkontrollierten Bewegungen. Wenn er wieder die Wandlung vollzöge, wenn er wieder menschlich würde …
Und als wäre es ein boshafter Wunsch gewesen, geschah es in ebenjenem Augenblick, in dem sie daran dachte. Der Rauch zog sich wie in böser Absicht zusammen, seine Umrisse waren sofort klar zu erkennen, ein ungebändigter Schopf blonder Haare, eine schöne, aber kraftlose Gestalt. Er fiel auf den Erdboden zu, ohne zu erwachen. Sie schoss ihm hinterher und wurde zum Drachen - o Herr, hier, am offenen, bleichen Himmel - und versuchte, seinen Sturz mit ihrem Rücken aufzuhalten. Sie drehte und wand sich, wenn er von ihr hinabglitt, und fing ihn mit ihren Klauen wieder auf.
Er hatte ein ziemliches Gewicht. Sie sank tiefer, fing sich aber mit einer Drehung wieder, und ihre Flügel mühten sich, um die Herrschaft über den Wind wiederzuerlangen.
Von weit, weit unten wehte ein Laut zu ihnen herauf. Ohne zu schauen, wusste sie, was es war: der kollektive Aufschrei unzähliger Anderer, deren Gesichter gen Himmel gereckt waren.
Einige Kirchtürme rasten vorbei, trübgraue Spitzen mit dünnen Rußstreifen. Wo befanden sie sich? Sie sah jetzt hinunter, an dem gesenkten Kopf von Christoff und seinem wehenden Haar vorbei, aber das Bild der Vierecke und halbkreisförmigen Straßen war ihr unvertraut. Sie hatte Derartiges noch nie zuvor getan. Als Diebin war sie noch nie auf diese
Weise geflogen, und natürlich niemals bei Tageslicht. Ihre Welt war die Stadt in Augenhöhe eines Menschen, die sichere Nacht, oh, warum nur konnte sie nichts wiedererkennen? …
Kit verwandelte sich erneut. Einfach so verschwand er aus ihrem Griff. Sie geriet in Schieflage, als sie ihn so plötzlich verlor, fing sich dieses Mal aber rascher und konnte aufsteigen, kreisen und erneut nach ihm suchen.
Unter ihr war Rauch, eine so schmale Säule, dass sie sich fragte, ob das tatsächlich Christoff sein konnte. Rasch tat sie es ihm nach und hoffte, dass sich alle Menschen dort unten die Augen reiben mochten, wenn der weiße Drache vor dem Blau verschwand, und ob sie glaubten, der Schein hätte getrogen.
Gott, lass ihn in dieser Gestalt bleiben. Sie konnte ihm folgen, und sie waren auf diese Weise so viel weniger verdächtig.
Aber er blieb nicht so. Sie sah, wie er sich in gefährlich geringer Höhe wieder verwandelte, und dieses Mal war er ein Drache, und sie war noch zu weit entfernt.
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