Der träumende Diamant 1 - Feuermagie
hätte hindurchgleiten können. Die Wände bestanden aus Mauersteinen und Mörtel, es gab keine Fenster, und auch der Granitboden zeigte keinerlei Risse.
Sie saß in der Falle.
In eine Ecke gedrängt, nahm Rue ihre menschliche Gestalt an, ihr Haar wand sich um ihren Körper, und ihre Hände waren flach hinter ihr an die Mauer gepresst. Christoff Langford sah ihr dabei zu, ohne sich in ihre Richtung zu bewegen. Stattdessen stand er groß und einsam in der Mitte des Zimmers auf dem leeren Fußboden. Eine einzelne Kerze brannte in einem Halter neben der Tür.
»Glauben Sie wirklich, Sie wären die Erste, die in die Stadt geflüchtet ist?«, fragte er ernst und und jetzt ungewohnt distinguiert. Dann streckte er einen Arm aus und fuhr fort: »Schauen Sie sich um. Mein Vater hat diesen Raum extra für Ihresgleichen angelegt.«
Sie starrte ihn an, rang nach Atem und fuhr sich dann mit der Hand an den Hals, wo sie sie gegen die schmerzende Stelle drückte. Als sie die Hand wieder fortnahm, war die Innenfläche voller Blut.
Ihre Stimme war krächzend und unstet. »Was haben Sie getan?«
»Dies ist ein Kerker. Es tut mir leid.« Endlich wandte er den Blick ab und senkte die Lider. Das Kerzenlicht machte aus seinem Mund eine gemeißelte Linie. »Ich musste Sie einfach hierherbringen, auf welche Weise auch immer.«
Sie schien es nicht begreifen zu können: den versiegelten Raum, die schwarzen Schatten, die einzelne Kerzenflamme, den Marquis von Langford, mit seiner unnahbaren Haltung und den grünen Augen unter den Lidern, keine menschliche Züchtigkeit, keine Scham. Er war ein Drákon, und Rue erkannte nun, dass sie das bis zu diesem Augenblick bei keinem anderen ihrer Art so deutlich gesehen hatte. Er war nicht sterblich, nicht schwach, sondern hatte etwas Uraltes und ungeheuer Starkes an sich, das mitnichten an die Muskeln und die Anmut seines unbekleideten Körpers gebunden war.
Sein linker Oberarm war rot verschmiert, sodass der Bogen seines Muskels dunkel betont wurde. Eine Wunde. Sie hatte sie ihm mit ihrem Rapier zugefügt. Ihr war, als sei eine Ewigkeit seitdem vergangen.
»Clarissa Hawthorne«, sagte er förmlich, ohne sich zu bewegen. »Kraft der Gesetze des Stammes binde ich dich hiermit an mich. Ergibst du dich mir und dem Willen des Rates?«
Die rituellen Worte und der Anfang vom Ende. Sie erkannte die Formel, so wie es jedem Kind aus Darkfrith ergangen wäre. Es waren heilige Worte, die selten lauter als in einem Flüstern gesprochen wurden, entsetzliche Worte, die für Gesetzlose gedacht waren, für die wenigen gefährlichen Stammesmitglieder, die sich in die Freiheit gewagt hatten. Der Marquis sprach die Worte weich, fast sanft, doch als er den Blick hob und ihr in die Augen schaute, sah sie den stählernen Entschluss darin.
»Ich binde dich an mich«, sagte er noch einmal. »Ergibst du dich mir?«
Ja oder nein. Sie wusste, was mit denen geschah, die verneinten. Sie hatte mit all den anderen lächerlich leicht zu erschreckenden Kindern gezittert, wenn sie gehört hatten, was man sich erzählte, und an jedem Abend vor Allerheiligen hatte sie wie gebannt den furchtbaren Geschichten über die Toten gelauscht. Die Erwachsenen wollten keine Einzelheiten preisgeben, aber selbst Antonia hatte ihr verboten, sich über die Begrenzungen der Grafschaft hinauszuwagen zu den Stellen, wo die Knochen der vom Stamm Verstoßenen verbrannt und vergraben worden waren.
Christoff beobachtete sie, und das Blut an seinem Arm rann langsam tiefer. Es folgte den Adern seiner Hand bis hinunter zu den Fingern, doch noch immer zeigte er keine Regung. Sie sah dem ersten Tropfen zu, als er fiel, ein karminrotes Platschen auf dem Fußboden.
Seine Stimme wurde sogar noch weicher und unendlich dunkel. »Ergibst du dich?«
Sie sah in sein Gesicht empor, das im Schatten einen goldenen Ton bekommen hatte und auf nichtmenschliche Art vollkommen wirkte. »Nein«, antwortete sie und drehte sich zur Wand. Sie stützte einen Arm dagegen und legte ihre Stirn auf die Steine. Ihr Haar war ein schweres Knäuel auf ihrer Haut und fing den letzten Rest des Lichtes ein. Sie schloss die Augen und wartete.
Lange Zeit geschah nichts. Als er sich schließlich rührte, gelang es ihr, völlig reglos stehen zu bleiben, nicht zu zucken und nicht an Flucht zu denken. Unmittelbar hinter ihr hielt er inne.
Sie spürte, wie seine Hand ihre eigene über ihrem Kopf bedeckte, wie sich seine Finger spreizten und zwischen ihre glitten. Mit der Handfläche
Weitere Kostenlose Bücher