Der träumende Diamant 1 - Feuermagie
saphirblauem Taft mit gelben Streifen bis hinunter zum Saum. Ohne zu fragen, schloss er die letzten Knöpfe, die sie nicht mehr erreichen konnte. Und dann zog er die Augenbinde hervor.
Gleichmütig sah sie auf das Band, das in seiner Hand baumelte. Der Rat und seine Wachen liefen mit polternden Schritten vor der Tür auf und ab und tauschten sich murmelnd über Pläne und Erwartungen aus. Er wusste, dass Clarissa sie hören konnte, und zwar ebenso gut wie er. Das war vermutlich der einzige Grund, warum sie ihn gewähren ließ.
»Ich nehme nicht an, dass du den Diamanten in deinem Haus verwahrst«, sagte Kit und trat näher. »Ich habe ihn dort nicht gespürt.«
Sie wandte ihm den Blick zu, und da war etwas in ihrem Gesicht, nur ein kurzes Aufblitzen, eine Art Erleuchtung vielleicht, die sie rasch hinter dem sanften Schwung ihrer Lippen verbarg.
»Nimm an, was du willst«, entgegnete sie achselzuckend.
»Es spielt keine Rolle.« Er befestigte die Binde um ihren Kopf und achtete sorgsam darauf, keinen Schlitz offen zu lassen. »Zumindest nicht im Augenblick. Ich werde darauf noch einmal zurückkommen.«
Und sie sagte nichts. Sie stand nur stumm da, in ihrem lustig gestreiften Rock und mit leichtem, spöttischem Lächeln, durchgedrücktem Rücken und erhobenem Kinn. Er führte sie mit beiden Händen aus dem Raum.
Er hatte nicht erwartet, dass sie ihre Geheimnisse so leicht preisgeben würde. Nicht sie.
Jetzt, in der abgeschlossenen Behaglichkeit der Kutsche, hatte Kit Gelegenheit, sie nachdenklich zu mustern, denn es hatte den Anschein, dass sie trotz der verbundenen Augen eingeschlafen war. Er saß ihr gegenüber und hatte einen der geliehenen Stiefel gegen ihren Sitz gestützt, während er seinen Blick schweifen ließ. Ihr Kopf war zur Seite gesunken, sodass er auf den samtenen Kissen ruhte. Unter den Blutergüssen klopfte der Puls in ihrer Kehle langsam und gleichmäßig.
Das gestreifte Kleid erstickte sie beinahe mit seinen Falten und Rüschen; ihre Schuhe hatte sie bereits abgelegt. Der Strohhut mit den Bändern, die er so fest unter ihrem Kinn zugeknüpft hatte, damit ihr Gesicht noch vollständiger verhüllt war, war zur Seite gerutscht und hing nun über ihrem Ohr. Weiches, braunes Haar lugte ungebändigt hervor wie bei einem Mädchen und fiel dunkel und glänzend bis hinab auf ihre Hüfte. Sie wirkte zerbrechlich und wunderschön und ganz und gar unschuldig.
Er konnte noch immer ihr Blut in seinem Mund schmecken.
Es erfüllte ihn mit Bedauern, aber tiefer noch, an einem verborgenen Ort, mit Erregung. Clarissa Hawthorne war nicht
unschuldig. Sie glich niemandem, den er je gekannt hatte. Unter ihrer Zartheit schlug ein ebenso ungezähmtes Herz wie sein eigenes, da war er sich ganz sicher. Niemand hätte den Schneid gehabt, ein solches Leben zu führen.
Und mit ihr zu fliegen …
Niemals zuvor hatte er etwas so Wundervolles gesehen wie ihren Anblick vor dem blauen Himmel. Er konnte noch immer die Kraft darin spüren, den süßen Stich, als er zum zweiten Mal zu ihr zurücksah und sie tatsächlich mit ihm über den Wolken war, wahrhaftig eine von ihnen.
Seine.
Die Kutsche gehörte zu seiner offiziellen Rolle. Sie war neu und elegant und gut gefedert, sodass sie kaum schwankte in den Furchen der Großen Nordstraße, die aus London hinausführte. An den Schlagbäumen und in der Stadt hatte er die Vorhänge zugezogen, weil selbst er Schwierigkeiten haben dürfte, die Anwesenheit einer gefesselten Frau mit einer Augenbinde zu erklären. Aber seine Ohren verrieten ihm, dass sie schließlich die letzten Ausläufer der Stadt passiert hatten, und so schob er den Vorhang auf seiner Seite weg und sah hinaus auf endlose Reihen von frühem, grünem Weizen, von Stechpalmenhecken gesäumt. Bauern in ihrer Kleidung aus selbst gesponnener Wolle bestellten ihre Felder. Eine Herde von Ziegen stand mit dem Rücken gegen einen Zaun gedrängt und folgte der Kutsche und den berittenen Begleitern mit sanften Augen, in denen sich die Sonne spiegelte.
Kit streckte die Hand aus und löste Clarissas Hut, um ihn auf den Sitz zu werfen. Sie wachte nicht davon auf.
Die Luft stank noch immer nach Stadt. Doch da war noch eine angenehmere Note darin, die von frischer, reiner Erde kam.
Darkfrith erwartete sie.
Eingesperrt in dieser elenden Kutsche, nur mit Zwischenstopps zum Essen und für den Pferdewechsel, kamen sie an, als nach ihrem vierten Tag die Nacht anbrach. Auch ohne etwas sehen zu können, spürte Rue den Unterschied
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