Der träumende Diamant 1 - Feuermagie
Standuhr im Wohnzimmer schlug zur vollen Stunde, einen halben Herzschlag später folgte die Uhr des Musikzimmers, dann eine weitere und noch eine, eine wahre Kakophonie von Glockenspielen, die immer neue Melodien durch das Herrenhaus schallen ließen, bis die letzte Uhr wieder in tickende Ruhe verfallen war.
Vier Uhr.
»Der Name des Hundes ist Henry«, sagte Kit.
Ihr ruhiger Gesichtsausdruck blieb unbewegt.
»Du nennst einen weiblichen Hund Henry?«
»Henrika«, fügte er beinahe nahtlos hinzu. »Ich glaube, von Seiten ihres Vaters gab es einen deutschen Einschlag.«
Rue presste die Lippen zusammen und kämpfte gegen ein Lächeln an. Den Blick hielt sie auf die Treppe geheftet, anstatt in die belustigten, lachenden Augen des Marquis zu schauen. Sie spürte, wie sich seine Hand über die ihre legte und er sie kurz mit den Fingern drückte.
Gefahr ! Schon begann, was sie am meisten fürchtete: Sein
Lächeln, seine Aufmerksamkeiten, selbst die geschmeidige Bewegung seines Körpers neben ihr brachten ihre Sinne in Aufregung.
Es wäre viel zu einfach, sich in seinen Bann ziehen zu lassen, zu glauben, dass hinter seiner gewohnten Fassade Ernsthaftigkeit schlummerte, dass ihn tatsächlich kümmerte, was sie glaubte oder fühlte oder …
Es war nicht so. Er war der Alpha, das war alles. Der Marquis von Langford war, ebenso wie sie, ein Sklave seiner Instinkte und wurde von ihnen geleitet und von sonst nichts. Sie würde nicht den Fehler machen, davon zu träumen, dass da je mehr sein könnte.
Vierzehn Tage , dachte sie entschlossen. Vierzehn Tage, und es ist überstanden.
Er lenkte sie zu einer Tür: nicht zu einer der üppig verzierten des Salons oder der Schlafzimmer, sondern einer Dienstbotentür, klein und unauffällig, mit einer Wendeltreppe dahinter, die steil emporführte.
»Wohin gehen wir?«, fragte sie, ohne weiterzugehen.
»Das wirst du sehen.«
»Ich würde es lieber sofort erfahren.«
»Vertraust du mir nicht?«
»Nein.«
»Nun, es ist nicht der Tote Raum «, sagte er trocken. »Reicht das nicht für den Augenblick?«
Tatsächlich gab sie sich damit zufrieden. Nachdem sie immer höher hinaufgestiegen waren, landeten sie auf einer sanft geschwungenen Plattform des Daches: der südlichen Ecke des Familienflügels mit einer Glaskuppel, die sich über den Schindeln erhob, und acht verrußten Schornsteinen, die ein massives Quadrat darum bildeten und von denen zwei Holzrauch auspusteten.
Vielleicht hatte der Sturm nachgelassen, oder die Kuppel schützte sie vor den schlimmsten Winden. Der Regen war nun weniger heftig, eher ein Nieseln, das sie beinahe streichelte. Die Wolken ballten sich über ihnen in tiefen, sich verändernden Tönen von Mitternachtsgrau über Purpur bis zu Kohlrabenschwarz.
Rue machte einen vorsichtigen Schritt hinaus auf die Ziegel und strich sich eine Haarlocke aus den Augen. »Ich dachte, wir würden nach London aufbrechen.«
»So ist es.«
Sie sah ihn an und er sie; dann zog er leicht die Augenbrauen in die Höhe, und auf seinem Mund lag ein schwaches, erwartungsvolles Lächeln.
»Nein«, sagte sie und stieß ein erschrockenes Lachen aus.
»Warum nicht?«
»Du bist verrückt!« Sie warf einen Blick über die Schulter zu den Wachen, die sich noch immer auf der Treppe drängten, und sah dann wieder ihn an.
»Es ist eine Neuntagesfahrt mit der Kutsche«, sagte Christoff. »Vorausgesetzt, du möchtest dieses Mal in einer angenehmeren Geschwindigkeit reisen. Neun Tage unterwegs bedeuten, dass dir nur noch fünf deiner vierzehn Tage in London bleiben.«
»Die vierzehn Tage beginnen erst, wenn wir dort angekommen sind«, stieß sie zornig hervor.
»Ich bedaure.« Sein Lächeln wurde breiter. »Der Rat hat anderes beschlossen.«
»Das ist nicht …«
»Neun Tage in der Kutsche, oder, wenn wir sofort aufbrechen …« Er spähte in den Himmel. »Ich schätze, wir würden in ungefähr … sechs Stunden dort sein. Akzeptiere es oder lass es. Ich habe es natürlich noch nie ausprobiert, aber ich
bin mir sicher, wir würden auf diese Weise die genaue Dauer herausfinden.«
Wie sie selbst trug auch er noch immer seine Hochzeitskleidung, doch ohne Umhang oder Mantel war er rasch von Regentropfen durchnässt. Kein Puder, keine Perücke oder Handschuhe; der Marquis grinste sie ohne Reue an, als das Leinen seines Hemdes durchscheinend wurde und sich sein Körper in feinen, hellen Linien abzeichnete.
Rue hielt krampfhaft ihren Rock fest und bewegte sich Schritt für Schritt zum
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