Der träumende Diamant 1 - Feuermagie
mit zum Boden gesenkten Blick.
»Wann brechen wir nach London auf?«
Der Marquis betrat den Raum und brachte den freudloseren Geruch von Regen und Sandelholz mit. »Nach dem Abendessen.«
Einen Moment lang schloss sie die Augen und spürte, wie sich Erleichterung und noch etwas anderes, etwas Bittersüßes in ihr ausbreitete.
»Bist du müde?«, fragte er unbekümmert. »Wir können auch noch einen Tag abwarten, wenn du möchtest.«
»Nein.« Sie war nicht begeistert von dem Gedanken, für eine weitere lange Fahrt zurück in diese Kutsche zu klettern, doch es war ohne Zweifel besser, es rasch hinter sich zu bringen. Besser, in Bewegung zu sein und Darkfrith zu verlassen, ehe einer von ihnen die Gelegenheit hatte, seine Meinung zu ändern. »Nach dem Abendessen passt mir gut«, sagte sie mit kräftiger Stimme.
»Das Eisen schmieden, solange es heiß ist«, sagte Christoff in noch immer gleichmütigem Ton.
»Sozusagen.«
»War dies dein Zimmer?« Er kam näher, und sein Mantel war eine geschmeidige Flamme vor einer verblassten Decke und ausgeblichenen Bettvorhängen.
»Ja.«
»Macht einen behaglichen Eindruck.«
»Es war behaglich.«
Er trat ans Fenster. Die Regentropfen, die wie kleine Perlen
auf seinen Schultern hingen, rannen in den ebenholzschwarzen Falten des Mantels hinab und spritzten auf ihren Rock.
Aber das Hochzeitskleid war bereits ruiniert. Nie hatte es eine Straße oder auch nur einen Weg zu dem alten Landhaus gegeben, nur vage Andeutungen eines Trampelpfades, überwuchert von Winden und Flechten. Der Sturm hatte selbst diese Pflanzen in den Schlamm niedergedrückt, in dem Rue bei jedem Schritt versunken war.
»Rue«, sagte Christoff ganz plötzlich, »wegen des Grünzeugs oder wegen der Gefühle?«
»Wegen der Blume.«
»Natürlich.« Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Spätblüher.« Als sie nicht antwortete, berührte er die geborstene Fensterscheibe, so wie sie es getan hatte, und seine Hand war wie ein Schatten auf dem Glas. »Ich frage mich, ob du in einer bestimmten Sache meine Neugier befriedigen kannst.«
»Ja?«
»Was hat Melanie zu dir gesagt, dort draußen auf dem Rasen?«
Sie war nicht erstaunt, dass er davon wusste; vermutlich hatte er sie beobachtet. Vielleicht hatte er es aber auch nur von den Wachen gehört. »Sie fragte mich, ob ich noch immer eine dreckige Spionin sei. Ich habe mich im Gegenzug erkundigt, ob sie immer noch eine Hure sei. Danach schien eine weitere Konversation nicht mehr viel Sinn zu machen.«
»Das habe ich gesehen.«
»Oh.« Sie senkte ihren Blick auf eine blasse Rose auf ihrem Rock und musterte die zarten Fäden. Diese waren sorgfältig zu einer rosafarbenen Blüte verarbeitet, um die herum minzgrüne Blätter sprossen, welche so schön und vollkommen wirkten, dass sie sie an Zuckerwerk erinnerten.
»Wirst du mir noch etwas verraten?«
Sie nickte, ohne aufzusehen.
»Warum hast du deinen Tod vorgetäuscht? Warum bist du davongelaufen?«
Rue ließ den Blick zu der kleinen Pfütze auf dem Fensterbrett wandern, dann zu ihren Wächtern, die zwischen den Bäumen postiert waren. Die Römer hatten auf diesem Boden Äpfel, Walnüsse und Birnen geerntet, aber Darkfrith hatte sich in den letzten Jahrhunderten wieder in den ursprünglichen Zustand zurückverwandelt. Jenseits dieses Gehölzes, hinter den Männern, verschmolzen die gleichmäßigen Reihen des Obstgartens mit dem Wald, mit der tiefen, sich auftürmenden Dunkelheit, die die Stadt umschloss, von Bächen wie lebensspendende Adern durchzogen, voller Nebel und Farnkraut und duftender Blätterschichten. Aus irgendeinem Grund erinnerte sich Rue deutlicher an den Wald als an sonst irgendetwas. Deutlicher sogar als an dieses Haus oder den Mann, der neben ihr stand.
Der Marquis fragte nicht noch einmal, sondern wartete inmitten des Regens und des Geruches nach Sandelholz und der Stille ringsherum ab.
»Deinetwegen«, sagte sie schließlich. Als er nicht antwortete, riskierte sie es, ihm einen verstohlenen Seitenblick zuzuwerfen. Er betrachtete sie, nicht entsetzt, eher verwundert, während seine Gesichtszüge von einem Blitz erhellt wurden. Sie nahm all ihren Mut zusammen. »Ich bin davongegangen, weil ich nicht mit dir verheiratet werden wollte.«
Sein Lächeln kehrte zurück. »Herr im Himmel, war ich denn so unerträglich?«
»Ich … habe mir damals eingebildet, ich wäre in dich verliebt.«
»Aha«, erwiderte er, und sie wich seinem Blick aus.
»Töricht, natürlich. Ich kannte
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