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Der träumende Diamant 2 - Erdmagie

Titel: Der träumende Diamant 2 - Erdmagie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shana Abé
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ansah, starrte er aus dem Fenster. Sein Gesichtsausdruck war ernst, der Keks lag vergessen in der Mitte seines Tellers. Das Licht der Kerzen über ihnen umschmeichelte strahlend und dunkel die Konturen seines Gesichts.
    Er sah elegant aus, ernst und unerreichbar. Ein Phantom von einem Mann, der in einem Raum voller fröhlicher Fremder saß.
    Es war Zufall, reiner Zufall, der seinen Blick genau in jene Richtung lenkte, aus der das Lied Draumrs von den Bergen herab zu ihnen zu strömen schien.
    »Die Kaninchen und die Vögel«, sagte sie und beugte sich auf ihrem Stuhl vor. »Hast du die wirklich in diesem Park spüren können?«
    Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.
    »Wann hattest du die Zeit, dir die Haare zu waschen?« Er sah sie wieder an, und seine Hand griff nach ihrer Schulter. Er bog die Finger und gab eine bernsteinfarbene Locke frei, die sich gelöst hatte. »Ganz bezaubernd. Aber ich wundere mich über deine Prioritäten. Es wäre praktischer gewesen, den Puder nicht auszuspülen.«
    Sie starrten einander regungslos an.
    »Weißt du«, sagte Lia schließlich in dem gleichmütigsten Tonfall, zu dem sie fähig war. »Ich glaube, ich bin doch ermüdeter
von dem Tag, als ich zunächst geglaubt habe. Ich werde mich jetzt besser zurückziehen.«
    »Ausgezeichnet«, erwiderte der Dieb in exakt der gleichen Stimmlage.
    »Na, dann mal los.«

5
    Im Reich der Drákon gibt es, wie im Reich der Menschen, Jäger, und es gibt Gejagte.
    Wir sind natürlich diejenigen, die die Jagd vervollkommnet haben. Das ist es, was wir sind: jener harsche, schneidende Wind und diese schnelle, tödliche Klaue, die sich in ein pochendes Herz bohrt. Wir sind der Nebel, der sich kreisrund um die Bäume der Pinienwälder sammelt; wir sind das goldene Auge der Sonne, das entsetzlich und strahlend zugleich auf die Erde und die niederen Wesen brennt. Wir jagen, weil wir atmen. Tier oder Mineral, Diamant oder Blut, wenn wir es nur heftig genug begehren, gehört es uns.
    Das ist die Natur. Dies sind unsere Gaben, und wir beanspruchen sie für uns wie ein Löwe sein Brüllen oder eine Maus ihren Vorrat an Herbstsamen.
    Aber die Anderen werden für alle Zeit danach trachten, unser Gleichgewicht zu stören und zu versuchen, die Natur zu narren. Sie lügen, betrügen und bestehlen uns, weil sie tief im Innern wissen, dass sie niemals wirklich an unsere Herrlichkeit heranreichen werden. Sie sind schwach und neidvoll - aber nicht hilflos. Es ist die missgünstigste Kreatur, die zur gefährlichsten heranreifen kann. Stets trugen die
Anderen für die unglücklichen Augenblicke die Verantwortung, in denen aus den Drákon Gejagte wurden.
    Genauso geschah es Amalia und ihrem Begleiter, als sie sich unserem Ursprungsland näherten.

6
    »Lia.«
    »Ja, Zane.«
    »Wo befindet sich deine Mutter gerade?«
    »Hinter der Tür zum blauen Salon. Das Feuer ist erloschen. Es ist ganz dunkel hier.«
    »Waffen?«
    »Eine Pistole. Ein Rapier. Sie wird die Pistole zuerst benutzen. Bevor du etwas sagen kannst, wird sie bereits durch die Tür geschossen haben.«
    »Warte hier. Folge mir nicht. Verlass dieses Zimmer nicht, ganz gleich, was du auch hören magst.«
    »Ja, Zane.«
    »Ich werde bald zurück sein.«
    »Ja.«
    Aber er ging nicht. Ein einzelner, rauer Finger strich wie eine Feuerzunge über ihre Wange.
    »Sag mir, dass du mich liebst«, flüsterte er.
    »Ich liebe dich.«
    »Sag mir, dass du tust, was ich von dir verlange.«
    »Du weißt, dass ich das tun werde.«
    Er nahm seine Hand wieder fort. »Gut. Dann bleib hier.«
    »Ja.«

    Er war vor ihr wach, was ihn wenig verwunderte. Zane hatte noch nie viel Schlaf gebraucht. Als Kind hatte er sich selbst beigebracht, mit offenen Augen zu dösen und in eine langsame, fast erstarrte Form des Bewusstseins zu gleiten, die ihm genug Erholung verschaffte, wenn die Zeiten gefährlich waren und er sich keine wirkliche Ruhephasen leisten konnte. Aber auch wenn er sich unbehaglich und abgekämpft fühlte, war die Tatsache, dass das betörendste Wesen, das er je zu Gesicht bekommen hatte, warm im Bett nur ein Zimmer weit entfernt lag, nicht ernsthaft als Gefahr zu werten.
    Noch nicht.
    So hatte er sich einige wenige Stunden leichten Schlafs gestattet und sich von der Nacht umfangen lassen. Der Stahl seines Dolches bildete eine feste, vertraute Erhebung unter seinem Kopfkissen.
    Er hatte nicht gut geschlafen. Es roch modrig in diesem Hotelzimmer. Zwar hatte er ein Fenster einen Spaltbreit geöffnet, um frische Luft

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