Der träumende Diamant 2 - Erdmagie
rundet das Bild aufs Gelungenste ab. Wären wir jetzt in London, würde ich eine angenehme Unterhaltung mit ihnen allen führen.«
Amalia antwortete nichts. Sie beobachtete die beiden Mädchen und ihr geübtes Lächeln. Und die Landjunker lächelten mit erröteten Gesichtern zurück, hoben ihre Gläser und schickten einen heimlichen Trinkgruß hinüber, als sie glaubten, die ältere Frau würde gerade nicht hinsehen. Aber diesmal, weil Zane ihren Blick dafür geschärft hatte, sah Lia, dass sie unter der gekräuselten Spitze ihrer Haube die ganze Sache sehr wohl beobachtete.
»Warum probierst du nicht mal den Fisch?«, schlug der Dieb vor. »Er ist schmackhafter, als man vermuten würde.«
»Warum hast du mich auf die drei aufmerksam gemacht?«
»Du wolltest etwas von Wert von mir.«
Und das hatte er ihr gegeben. Sie verschränkte die Hände im Schoß und musterte die rotwangigen Landjunker und ihre glänzenden, arglosen Gesichter.
»Das ist der Lauf der Welt, meine Liebe«, murmelte Zane. »Mag es gut sein oder schlecht: Jetzt bist du in sie hinausgestoßen worden. Und dies war mein kleines Geschenk an dich. Ich habe dir die Augen geöffnet.«
Die jungen Männer begannen, nach ihrem Geld zu suchen. Sie legten die abgezählten Münzen ihrer Rechnung auf den Tisch, während die Mädchen so taten, als sähen sie in eine andere Richtung.
»Das ist nicht gerecht«, sagte Lia.
Der Dieb wandte ihr sein Gesicht zu und schaute ihr in die Augen; sie erwiderte den Blick.
»Sie sind jung und dumm. Aber sie sind betrunken.«
»Das stimmt. Es wird ihnen eine Lektion sein.«
Sie setzte ihre Tasse auf dem Unterteller ab.
»Löwenmäulchen«, warnte Zane. »Denk noch einmal darüber nach.«
»Vielleicht ist das, was sie bei sich tragen, alles, was sie haben. Vielleicht gehören diese Uhren ihren Vätern. Vielleicht gibt es Menschen, die auf sie angewiesen sind, auf diesen mageren Vorrat an Münzen in ihren Börsen. Diener. Kinder.«
»Ja. Vielleicht.«
Lia warf ihm einen aufgebrachten Blick zu und legte ihre Serviette auf den Tisch. Doch ehe sie aufstehen konnte, schnellte sein Arm vor, und seine Hand drückte die ihre fest auf das Holz. Seine Stimme war sehr leise.
» Denk nach , Amalia. Was willst du zu ihnen sagen? Wir können diese Aufmerksamkeit nicht gebrauchen. Ich habe
dir diese Frauen nur gezeigt, weil du nach einer Gegenleistung gefragt hast. Hast du vergessen, weshalb wir hier sind?«
»Ich habe gar nichts vergessen«, sagte sie mit unverwandtem Ausdruck in den Augen.
Er erwiderte den Blick einen Moment lang, und seine Augen leuchteten hell. Seine Augenbrauen und seine Wimpern hoben sich scharf und dunkel von seiner Haut ab. Dann ließen seine Finger ihre Hand los, und er schüttelte den Kopf. »Wie rechtschaffen du doch bist. Da ich deine Eltern kenne, kann ich mir nicht vorstellen, wie du so hast werden können. Nein, warte«, sagte er, als sie ihren Stuhl zurückschob. Er erhob sich. »Ich werde das tun.«
Bevor sie etwas antworten konnte, ging er schon davon, jedoch nicht auf den Tisch der betrunkenen Männer zu, sondern zum anderen, an dem die drei Frauen saßen und die Reste ihres Mahles zu sich nahmen. Er umrundete den Raum, und es hatte den Anschein, als steuere er auf die Flügeltüren zu, die in die Haupthalle des Hotels führten. Er wirkte wie ein großer, schöner Mann, der überraschend unsicher auf den Beinen war: ein Mann, der zu viel getrunken hatte.
Als er am Tisch der Frauen vorbeikam, geschah etwas. Sie konnte es nicht genau sehen, weil sich zu viele andere Gäste zwischen ihnen befanden. Zane schwankte und drehte sich, und die Frauen stießen schrille Schreie aus. Sie hörte das Geräusch von Glas, das auf Holz zerschellt; er hatte ihre Weinkaraffe umgestoßen. Die Matrone sprang auf und brachte ihren Rock mit beiden Händen in Sicherheit; die jüngeren Frauen folgten ihrem Beispiel weitaus langsamer.
Die Gespräche im Raum verstummten. Jeder im Speisesaal
wandte sich zu ihnen um, um die Aufregung zu verfolgen. In die eintretende Stille hinein hörte sie Zanes eilfertige Entschuldigungen auf Französisch, und schon näherten sich die Kellner. Die Matrone plapperte zu schnell, als dass Lia etwas hätte verstehen können. Aber Lia konnte nun das Profil der Frau sehen, als diese zwei Schritte auf Zane zu machte. Zorn hatte sich rings um ihren Mund gegraben, war jedoch sofort wie fortgewischt, als sich Zane aus der Verbeugung aufrichtete und sie einen besseren Blick auf sein
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