Der träumende Diamant 2 - Erdmagie
existierten: das feurige Rotorange der Mohnblumen, wildes Pfauenblau, Butterblume und Smaragd. In ihrem übergroßen Kleid befühlte Lia Stoffe und untersuchte Gewebe, während sie so tat, als höre sie den leisen, gleichmäßigen Gesang der Steine in der Schale überhaupt nicht.
»Nein«, sagte Zane, der gegen den Verkaufstisch lehnte. »Wir bleiben nicht hier. Deshalb kommt nur etwas in Frage, was schon fertig ist.«
Die Schneiderin erhob lauthals Protest, doch Zane ließ sich nicht beirren: Sie würden noch am gleichen Tag abreisen. Was auch immer die Frau anzubieten hatte, würde genügen müssen.
»Undenkbar«, teilte die Couturière in gequältem Französisch mit. »Was ich hier habe, ist bereits verkauft.«
»Natürlich.« Er seufzte. »Wie bedauerlich.«
Der Dieb senkte den Kopf und begutachtete seine linke Hand. Er schloss die Finger, öffnete sie wieder, und wie auf magische Art und Weise lag dort eine Reihe Goldmünzen, die auf seiner Haut glänzten. Das Mädchen in der Ecke starrte ihn mit offenem Mund an.
Am Ende erstand Lia das zitronengelbe Kleid und drei weitere - rot, grün und blau, so strahlend und ursprünglich wie
der Sonnenaufgang. Außerdem kauften sie dicke Strümpfe samt Halter und Seidenbändern, die ihr wie Flusswasser durch die Finger glitten.
»Aus Paris«, sagte die Frau und lächelte, wobei sie ihre großen Zahnlücken offenbarte.
Lia überließ es Zane, um den Preis zu feilschen, und näherte sich stattdessen noch einmal der Schale mit den bunten Steinen.
»Gefallen sie Ihnen?« Erfreut strahlte die Couturière sie an. Zweifellos hatte sie eine ansehnliche Summe mit ihren Landkleidern erzielt. »Eine so wunderschöne Frau wie Sie findet natürlich daran Gefallen.«
Die Frau winkte sie näher, suchte einen hellen, funkelnden Stein aus und legte ihn sorgsam in Lias geöffnete Hand.
»Diamant! Sehr selten.« Über die Schulter hinweg hatte sie sich an Zane gewandt. »Für Ihre Braut, guter Mann, mache ich Ihnen einen ordentlichen Preis.«
Der Dieb stieß sich vom Tisch ab. Er schlenderte so beiläufig durch den Laden, wie ein fauler Löwe durch einen Salon schreiten würde. Sein Mantel, die Kniebundhosen und sein Hemd wirkten unscheinbar zwischen den prächtigen Farben; er hatte das Lederband verloren, mit dem er seine Haare gewöhnlich zusammenfasste, sodass sie ihm wie eine ungebändigte Mähne über die Schultern fielen. Zane strahlte etwas Dunkles in seinen Bewegungen aus, etwas, das an die Nacht denken ließ, an Stille und glutäugige Wachsamkeit.
Er hob die Hand. Mit dem Mittelfinger fuhr er langsam an der Innenseite von Lias Handgelenk hinab bis zum tiefsten Punkt ihrer Handfläche, wo der Stein lag. Seine Berührung war beängstigend sanft und ließ ihren Arm erzittern.
»Erfreut er dich, meine Liebste?«, fragte er lächelnd, und sie wusste, was er wirklich meinte: »Ist er es wert?«
Sie fragte sich, wie viel Gold er eigentlich genau in seiner Reisetasche bei sich trug. Sie selbst hatte ihre Bankpapiere mitsamt ihrem Koffer eingebüßt. Aber sie legte den hellen Stein zurück in die Schale und widerstand dem Drang, ihr Handgelenk am Rock abzuwischen. Stattdessen griff sie nach einem anderen Stein.
»Dieser hier gefällt mir.«
Der Stein war von einem trüben Gelb, bearbeitet und glänzend. Selbst die Schneiderin hob eine Augenbraue.
»Madame will den Diamanten nicht?«
»Nein, ich denke nicht. Wir werden diesen hier nehmen.«
Er wurde ihr, in Seidenpapier eingewickelt, überreicht, zusammen mit einigen Schachteln, in denen sich die Kleider und die Unterwäsche befanden, während die Schneiderin unablässig im Flüsterton vor sich hinredete. Zane trug die Einkäufe zurück zu ihrer Kutsche. Er wartete, bis sie beide im Innern verschwunden waren, ehe er das Seidenpapier aufriss, um den gelben Stein genauer in Augenschein zu nehmen.
»Was stimmte nicht mit dem Diamanten? Ich hätte sie herunterhandeln können.«
»Da hättest du dir was Schönes ins Nest gelegt. Das Ding war nicht echt.«
»Ah.« Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Er pochte auf den Stein in seiner Handfläche.
»Und was ist das, wenn ich fragen darf?«
»Es ist ein Saphir«, antwortete Lia. Sie nahm ihn ihm aus der Hand und hauchte ihn an. Dann hielt sie ihn vor das
Fenster in die hereinscheinenden Sonnenstrahlen, ehe sie sich wieder Zane zuwandte.
»Ja?«
»Schon gut.«
Wenn das Sonnenlicht hindurchströmte, nahm der Saphir exakt die wölfische Färbung seiner Augen
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