Der träumende Diamant 2 - Erdmagie
Rauchfäden der schwelenden Holzbalken verblassten rasch.
Und es gab keinen anderen Drákon . Nicht das geringste Zittern in der Luft, oben oder unten, in irgendeiner Gestalt oder Form - überhaupt nichts mehr seit jenem Moment in der kalten, lilafarbenen Morgendämmerung. Vielleicht hatte sie es sich eingebildet. Sie war müde und erschöpft gewesen. Vielleicht hatten ihr nur ihre Nerven einen Streich gespielt.
Aber da hatte es diesen Blick aus diesen ganz bestimmten Augen gegeben, den sie sich nicht eingebildet haben konnte.
»Hast du davon auch geträumt?«, fragte Zane, während er die Ruinen neben ihr betrachtete.
»Nein«, gestand sie.
»Was war in deinen Koffern?«
»Kleidung. Schminke. Mein rotes Kleid«, fiel ihr mit einem Mal zu ihrem Bedauern ein.
»Irgendwelche Waffen?«
Sie drehte den Kopf, um ihn ansehen zu können. Er hielt
ihrem Blick durch Wimpern, schwarz wie Ruß, hindurch stand, dann zuckte er mit den Schultern.
»Nun, ich hingegen haben meinen besten Dolch verloren. Ein paar Rüschen lassen sich da wohl leichter wieder ersetzen.«
Aber das war nicht der Fall. Auf dem Platz mitten in der Stadt gab es zwar Banken, Gemüsehändler und sogar ein Tabakgeschäft, aber um eine Schneiderin zu finden, mussten sie ihren Kutscher von seinem Würfelspiel in den Ställen holen. Falls die anderen Burschen etwas von dem morgendlichen Tumult mitbekommen hatten, waren sie jedenfalls beeindruckend schnell wieder zu gelassener Routine übergegangen. Eine Gruppe von etwa einem Dutzend Männern hockte in einem Kreis auf der Erde und stritt über ihrem Spiel, als Zane näher trat.
Lia wartete bei den Dachrinnen am Eingang, so weit wie möglich von den Tieren entfernt. Sie beobachtete Zane, wie er sich gestikulierend an den Zigeuner wandte, der ihm lauschte, an einem Strohhalm kaute und schließlich nickte.
» Zot «, sagte der Mann und ging davon, um die Pferde anzuspannen.
Die Schneiderei befand sich am Eingang einer der kleineren, gewundenen Straßen, die das Bild der Stadt prägten, auf halbem Weg einen Hügel empor, der stetig weiter anstieg. Lia folgte Zane argwöhnisch hinein; die Straße lag im Schatten, und das Geschäft war nur spärlich erleuchtet. Alles, was sie erkennen konnte, waren die Stoffe, die sich vor dem Fenster stapelten, und ein einziger Leuchter hinten im Laden, dessen Kerzen angezündet worden waren.
Dieser Ort glich keinem, an dem sie je gewesen war. Nicht nur, dass es Ballen mit Baumwolle und Schurwolle in leuchtenden Farben gab, es hingen auch Büschel von getrocknetem, rotem Paprika und verzierte Spiegel an den Wänden, und mit Blumen bemaltes, glasiertes Steingut befand sich auf beinahe jedem Regal. Selbstgebundene Besen standen in allen vier Ecken, und ein einzelnes Kleid lag wie beiläufig auf dem Verkaufstisch. Der zitronengelbe Rock war mit Singvögeln und Efeu bestickt und reichte bis auf den Boden hinab.
Neben dem Kleid befand sich eine Schale mit Steinen. Lia ging durch den düsteren Raum darauf zu, gelockt von einer schwachen, leisen Melodie, die ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Das Geschäft verblasste, der Geruch von Paprika, Rauch und Gewürzen verblasste; sie tauchte ihre Fingerspitzen zwischen die Kiesel, und die bloße Berührung brachte Psalmen und Lobgesänge hervor.
Freude - unmittelbar und schwirrend. Sie schloss die Augen. In den Schatten ihrer Seele griff Draumr die Melodie auf und ließ sie süßer, satter und entschlossener durch ihr Blut rauschen, bis sie zu einer Beschwörung wurde, der sie nicht länger widerstehen konnte …
Aus der Ferne hörte sie Zanes Stimme. Eine Frau antwortete … Und dann war da ein Geräusch unmittelbar vor ihr. Ein Atmen. Lia sah auf. Eine sehr junge Verkäuferin mit porzellanblauen Augen stand hinter dem Verkaufstisch und starrte sie an, während sie mit beiden Händen ein Nadelund Fadenkissen hielt.
Lia zog ihre Finger aus der Schale und lächelte. Das Kind lächelte zurück und sah dann rasch zur Couturière , die neben Zane stand.
»Ist das Ihre Gattin?«, fragte die Frau, und ihr Französisch
hatte einen schweren Akzent. »Aber natürlich … wie traurig, das Hotel. Ja, wir haben davon gehört. Kommen Sie, Madame. Bitte kommen Sie. Wir werden etwas Wunderschönes für sie finden.«
Und so wurden ihr Stoffbahnen aus Wolle über die Schulter gehängt, in Farben, die sie gewöhnlich nie gewählt hätte, allerdings aus dem einfachen Grund, weil sie im blassen, pastellverwaschenen England gar nicht
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