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Der Trafikant / ebook (German Edition)

Der Trafikant / ebook (German Edition)

Titel: Der Trafikant / ebook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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versucht, sich, ohne Krücken und mit einer Hand auf die Theke gestützt, möglichst aufrecht und gerade zu halten. Ein einziger kurzer Seitenblick hatte auch Franz zum Aufspringen bewegt, und so standen sie beide nun da und bildeten ein steifes Empfangskomitee für diesen dürren, alten Herrn.
    »Guten Morgen, Herr Professor!«, sagte Otto Trsnjek und ruckelte unauffällig sein Bein zurecht. »Virginias, wie immer?«
    Eines hatte Franz während seiner bisherigen Lehrzeit längst schon verinnerlicht: Sogenannte Professoren gab es in Wien wie Kieselsteine an der Donau. In gewissen Bezirken sprachen sich sogar die Pferdefleischhauer und Bierkutscher mit »Herr Professor« an. Diesmal jedoch war es etwas anderes. Die Art, wie der Trafikant diesen Herrn begrüßte, machte Franz sofort klar, dass das hier ein richtiger Professor war, ein ehrlicher und echter, einer, der seinen Titel nicht wie eine Kuhglocke vor sich her schwenken musste, um die ihm gebührende, professorale Anerkennung zu finden.
    »Ja«, sagte der Alte mit einem kurzen Nicken, während er seinen Hut vom Kopf nahm und ihn bedächtig vor sich auf die Theke legte. »Zwanzig Stück. Und die Neue Freie Presse , bitte.«
    Er sprach langsam und so leise, dass er nur schwer zu verstehen war. Dabei öffnete er kaum den Mund. Es war, als ob er jedes einzelne Wort nur unter erheblicher Anstrengung durch die Zähne gepresst bekäme.
    »Selbstverständlich, Herr Professor!«, sagte Otto Trsnjek und nickte seinem Lehrling zu. Franz nahm eine Zwanziger-Kiste Virginias und die Zeitung aus den Regalen und legte sie auf die Theke, um sie in Packpapier zu wickeln. Er spürte den Blick des Alten auf sich gerichtet, der jede seiner Bewegungen genau zu verfolgen schien.
    »Der da ist übrigens der Franzl«, erklärte Otto Trsnjek. »Kommt aus dem Salzkammergut und hat noch viel zu lernen.«
    Der Alte reckte seinen Kopf noch ein Stückchen weiter vor. Aus den Augenwinkeln konnte Franz erkennen, wie sich seine Hautfalten, dünn wie Seidenpapier, über den Rand des Hemdkragens legten.
    »Das Salzkammergut«, sagte er mit einer seltsamen Mundverzerrung, die wahrscheinlich ein Lächeln darstellen sollte. »Sehr schön.«
    »Vom Attersee!«, nickte Franz. Und aus irgendwelchen Gründen war er zum ersten Mal in seinem Leben stolz auf dieses komische Regenloch namens Heimat.
    »Sehr schön«, wiederholte der Professor. Dann legte er ein paar Münzen auf die Theke, nahm das fertige Paket unter den Arm und wandte sich zum Gehen. Mit einem Schritt war Franz an der Tür, um sie zu öffnen. Der Alte nickte ihm zu und trat hinaus auf die Straße, wo ihm sofort der Wind den Bart zerzupfte. Er riecht seltsam, dieser alte Herr, dachte Franz, nach Seife, nach Zwiebeln, nach Zigarren und interessanterweise irgendwie auch ein bisschen nach Sägespänen.
    »Wer war denn das?«, fragte er, nachdem er die Tür zugedrückt hatte. Fast mit Gewalt musste er sich aufrichten, um die etwas gebückte Haltung, die er unwillkürlich eingenommen hatte, wieder aufzulösen.
    »Das war Professor Sigmund Freud«, sagte Otto Trsnjek und ließ sich mit einem Ächzen zurück in seinen Sessel sinken.
    »Der Deppendoktor?«, entfuhr es Franz mit einem kleinen Erschrecken in der Stimme. Natürlich hatte er schon von Sigmund Freud gehört. Der Ruf des Professors war ja mittlerweile nicht nur an die entlegensten Flecken der Erde, sondern sogar bis ins Salzkammergut gelangt und hatte dort die meist eher dumpfen Fantasien der Einheimischen angeregt. Von allerhand unheimlichen Trieben war die Rede, von ordinären Witzen, wölfisch heulenden Patientinnen und ausufernden Entblößungen in privater Sprechstunde.
    »Genau der«, antwortete Otto Trsnjek. »Aber der kann noch viel mehr, als reichen Deppen ihre Schädel gerade richten.«
    »Was denn?«
    »Angeblich kann er den Leuten beibringen, wie ein ordentliches Leben auszuschauen hat. Nicht allen natürlich, sondern nur denen, die sich sein Honorar leisten können. Man erzählt sich, eine Stunde in seiner Ordination kostet so viel wie ein halbes Schrebergartengrundstück. Das kann aber auch ein bisserl übertrieben sein. Jedenfalls behandelt er die Leute, ohne sie anzurühren wie die anderen Doktoren. Wobei: Irgendwie rührt er sie schon an, nur eben nicht mit den Händen.«
    »Mit was denn sonst?«
    »Was weiß ich!«, Langsam wurde Otto Trsnjek ungeduldig. »Mit den Gedanken oder mit dem Geist oder mit sonst irgendeinem Blödsinn. Jedenfalls scheint es zu funktionieren,

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