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Der Trafikant / ebook (German Edition)

Der Trafikant / ebook (German Edition)

Titel: Der Trafikant / ebook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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und das ist die Hauptsache. So, jetzt lies deine Zeitungen und lass mich in Frieden.«
    Er beugte sich tief über einen Stapel Papier, den er aus der Schublade gezogen hatte, und fing an, mit seiner Feder und einem langen Holzlineal Striche darauf zu ziehen.
    Franz legte seine Stirn gegen die Auslagenscheibe und spähte durch einen schmalen Lichtschlitz hinaus. Dort vorne ging der Professor mit seinem Paket unterm Arm die Währingerstraße hinunter. Er ging langsam, mit kleinen, vorsichtigen Schritten und leicht gesenktem Kopf.
    »Der wirkt eigentlich recht umgänglich, der Herr Professor!«, meinte Franz nachdenklich. Otto Trsnjek seufzte und hob noch einmal den Blick aus den Tiefen seiner Strichreihen.
    »Vielleicht wirkt er ja auf den ersten Blick umgänglich, aber wenn du mich fragst, ist er schon ein ziemlich trockener Knochen, trotz dieser ganzen Hirndoktorei. Außerdem hat er ein nicht unwesentliches Problem.«
    »Was denn für eines?«
    »Er ist ein Jud.«
    »Aha«, sagte Franz. »Und was soll das für ein Problem sein?«
    »Das wird sich noch herausstellen«, erwiderte Otto Trsnjek. »Und zwar bald!«
    Eine Weile irrte sein Blick verloren in der Trafik herum, so als ob er irgendwo einen sicheren Ort zum Verweilen suchte. Dann hielt er inne und lächelte kurz in sich hinein. Schließlich beugte er sich wieder über seine Arbeit. Sorgfältig versuchte er mit dem Zipfel eines Schwämmchens einen Tintenfleck aufzutupfen, der sich zwischen den Linien ausgebreitet hatte.
    Franz blickte immer noch zur Auslage hinaus. Diese Sache mit den Juden hatte er noch nie richtig begriffen. Die Zeitungen ließen kein gutes Haar an ihnen und auf den Fotografien und Witzezeichnungen sahen sie wahlweise lustig oder verschlagen oder meistens sogar beides zusammen aus. Wenigstens gab es in der Stadt welche, dachte Franz, echte Juden aus Fleisch und Blut, mit jüdischen Namen, jüdischen Hüten und jüdischen Nasen. Zuhause in Nußdorf gab es nicht einen einzigen. Allerhöchtens geisterten sie dort als schreckliche oder gemeine oder vertrottelte, in jeden Fall aber als irgendwie ungute Sagengestalten durch die Köpfe der Einheimischen. Vorne war der Professor gerade dabei, in die Berggasse einzubiegen. Eine Windböe fuhr ihm in die Haare und bauschte sie zu einem federleichten Gebilde auf, das für ein paar Sekunden über seinem Kopf wehte.
    »Der Hut! Wo hat er denn seinen Hut!«, rief Franz erschrocken. Sein Blick fiel auf die Theke, wo immer noch die graue Kopfbedeckung des Professors lag. Er machte einen Satz, nahm den Hut und lief damit hinaus auf die Straße.
    »Halt, stehenbleiben, wenn der Herr erlauben!«, schrie er laut und schlitterte mit rudernden Armen um die Ecke in die Berggasse hinein, wo er den Professor schon nach wenigen Schritten eingeholt hatte und ihm atemlos den Hut entgegenhielt. Sigmund Freud betrachtete für einen Moment seine etwas verbeulte Kopfbedeckung, nahm sie schließlich entgegen und zog im Gegenzug seine Brieftasche aus der Jacketttasche.
    »Aber ich bitte Sie, Herr Professor, das war doch eine Selbstverständlichkeit!«, versicherte Franz mit einer abwehrenden Handbewegung, die ihm für seine Begriffe schon während der Ausführung ein bisschen zu ausladend geriet.
    »Eine Selbstverständlichkeit ist heutzutage gar nichts mehr!«, sagte Freud und drückte mit dem Daumen eine tiefe Delle aus der Hutkrempe. Wie zuvor sprach er mit kaum geöffnetem Kiefer, leise und gepresst. Franz musste seinen Kopf ein wenig nach vorne neigen, um alles genau zu verstehen. Auf gar keinen Fall wollte er auch nur ein einziges Wort des berühmten Mannes überhört haben.
    »Darf ich Ihnen behilflich sein?«, fragte er, und obwohl Freud sich Mühe gab, konnte er doch nicht schnell genug zurückzucken und somit verhindern, dass Franz ihm Paket und Zeitung unterm Arm hervorziehen und entschlossen an seine Brust drücken konnte.
    »Meinetwegen«, murmelte er, setzte sich den Hut auf den Kopf und ging los. Franz fühlte sich zuerst noch ein bisschen komisch in der Bauchgegend, während er mit dem Professor die steile Berggasse hinunterging, so als ob irgendein schweres Gewicht ihn an die Bedeutung dieses Augenblicks gemahnen wollte. Doch schon nach wenigen Schritten hatte sich dieses komisch-schwere Bauchgefühl aufgelöst, und als sie schließlich die duftende Ankerbrotbäckerei der Frau Grindlberger passierten und er sich selbst in der mehlbestäubten Auslage gespiegelt sah, wie er da so marschierte, aufrecht und gerade,

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