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Der Trafikant / ebook (German Edition)

Der Trafikant / ebook (German Edition)

Titel: Der Trafikant / ebook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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Landschaft in ihre stille Bewegungslosigkeit eingeschlossen hätte. Alois dachte an die Schweinesülze im Goldenen Leopold : Die hätte er bestellen sollen, und nicht den Rehbraten, der ihm jetzt trotz der Doppeltgebrannten wie ein Ziegelstein im Magen lag. Mit dem Hemdsärmel wischte er sich den Schweiß von der Stirn und blickte über die Wasserfläche, die sich samtigweich und schwarzblau vor ihm ausbreitete. Dann zog er sich aus.
    Das Wasser war angenehm kühl. Alois schwamm mit ruhigen Zügen und schnaufte in die geheimnisvolle, dunkle Tiefe unter ihm. Als er ungefähr in der Mitte des Sees angelangt war, fielen die ersten Tropfen und nach weiteren fünfzig Metern schüttete es bereits wie aus Kübeln. Ein gleichmäßiges Prasseln lag über der Wasseroberfläche, schwere Tropfeneinschläge, dicke Regenschnüre, die die Schwärze des Himmels mit der Schwärze des Sees verbanden. Wind kam auf und wurde bald zum Sturm, der die Wellenkämme zu Schaum schlug. Ein erster Blitz tauchte den See für einen Augenblick in ein unwirkliches, silbriges Licht. Der Donner war ohrenbetäubend. Ein Krachen, das die Welt auseinanderzureißen schien. Alois lachte auf und planschte wild mit Armen und Beinen. Er schrie vor Vergnügen. Noch nie hatte er sich so lebendig gefühlt. Das Wasser um ihn herum brodelte, der Himmel über ihm stürzte zusammen, aber er lebte. Er lebte! Er bäumte seinen Oberkörper aus dem Wasser und juchzte in die Wolken hinauf. Genau in diesem Moment schlug ein Blitz in seinen Kopf ein. Eine strahlende Helligkeit füllte sein Schädelinneres aus, und für den Bruchteil einer Sekunde fühlte er so etwas wie eine Ahnung von Ewigkeit in sich aufsteigen. Dann blieb sein Herz stehen, und mit einem erstaunten Gesichtsausdruck und eingehüllt in einen Schleier zartglitzernder Luftbläschen sank er auf den Grund.
    Das Begräbnis fand auf dem Nußdorfer Gemeindefriedhof statt und war gut besucht. Viele Menschen aus der Gegend waren gekommen, um Alois Preininger zu verabschieden. Vor allem versammelten sich auffällig viele schwarz verschleierte Frauen um das Grab. Es wurde viel geweint und geschluchzt, und Horst Zeitlmaier, der dienstälteste Sägewerkvorarbeiter, legte die drei Fingerstummel seiner rechten Hand an die Brust und rang sich mit zittriger Stimme ein paar Worte ab: »Der Preininger war ein guter Mann«, sagte er, »hat, soweit man weiß, nie jemanden bestohlen oder betrogen. Und seine Heimat hat er geliebt wie kein zweiter. Schon als kleiner Bub ist er so gerne in den See gesprungen. Am letzten Sonntag zum allerletzten Mal. Jetzt wohnt er beim lieben Gott, und wir wünschen ihm alles Gute. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen!«
    »Amen!«, antworteten die anderen. »Dabei hat er doch noch so einen Appetit gehabt!«, flüsterte jemand, und die Umstehenden nickten betroffen. Unter einem der schwarzen Schleier drang ein würgendes Schluchzen hervor, da und dort wurden noch ein paar Worte gewechselt – dann ging man auseinander.
    Auf dem Heimweg lüftete Franz’ Mutter ihren Schleier und blinzelte mit roten Augen ins Sonnenlicht. Der See lag ruhig und matt schimmernd da. Im niedrigen Wasser stand ein Reiher und wartete reglos auf den nächsten Fisch. Am anderen Ufer tutete einer der Fährdampfer zum Ablegen. Der Schafberg stand dahinter wie gemalt und Schwalben flitzten durch die klare Luft.
    »Der Preininger ist gegangen«, sagte sie und legte ihre Hand auf Franz’ Oberarm, »und die Zeiten werden nicht besser. Es liegt was in der Luft.« Unwillkürlich richtete Franz seinen Blick nach oben. Doch da war nichts. Die Mutter seufzte. »Du bist jetzt schon siebzehn Jahre alt«, sagte sie. »Aber du hast immer noch ganz zarte Hände. Zart und weich und weiß, wie von einem Mädchen. So einer wie du kann nicht im Wald arbeiten. Auf dem See schon gar nicht. Und die Sommerfrischler können auch nichts anfangen mit so einem.« Sie waren inzwischen stehen geblieben, immer noch lag ihre Hand warm und leicht an seinem Arm. Drüben hatte die Fähre abgelegt und begann langsam über den See zu stampfen.
    »Ich hab ein bisserl nachgedacht, Franzl«, sagte die Mutter. »Es gibt da einen alten Freund. Der hat vor ewig langer Zeit eine Saison bei uns im See verplanscht. Otto Trsnjek heißt er. Und dieser Otto Trsnjek hat mitten in Wien eine Trafik. Eine richtige Trafik, mit Zeitungen, Zigaretten und allem Drum und Dran. Das alleine wär ja schon nicht schlecht, aber was das Ganze noch viel

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