Der Trafikant / ebook (German Edition)
sich im Wasser und sehen ganz akkurat aus. Überhaupt sind alle auf einmal ganz akkurat und rennen mit wichtigen Gesichtern herum. Stell Dir vor, sogar im Wirtshaus und in der Schule hängt jetzt der Hitler. Direkt neben dem Jesus. Dabei weiß man doch gar nicht, was die beiden voneinander halten. Leider ist das schöne Auto vom Preininger beschlagnahmt worden. So nennt man das heute, wenn Sachen verschwinden und irgendwo anders wieder auftauchen. Wobei: Sehr weit ist das Auto nicht gekommen. Der Herr Bürgermeister fährt nämlich jetzt damit durch die Gegend. Seitdem der Herr Bürgermeister ein Nazi geworden ist, geht ihm vieles leichter von der Hand. Überhaupt wollen auf einmal alle Nazis sein. Sogar der Förster rennt mit einer leuchtendroten Armbinde im Wald herum und wundert sich, dass er nichts mehr schießt. Apropos: Erinnerst Du Dich an unseren Ausflugsdampfer Hannes? Den haben sie neu gestrichen und umgetauft. Jetzt glänzt er wie ein gelutschtes Zuckerl und heißt »Heimkehr«. Allerdings ist ihm gleich bei der ersten Fahrt unterm neuen Namen der Dieselmotor explodiert, und man hat die Leute mit den alten Ruderbooten ans Ufer bringen müssen. Ach Franzl, mein lieber Bub, wo soll das alles hingehen? Der Preininger ist tot, und Du bist so weit weg. Manchmal lieg ich im Bett und heul in die Polster hinein, weil niemand mehr da ist, auf den ich aufpassen kann. Und niemand, der auf mich aufpasst. Doch es passieren auch schöne Sachen: Stell Dir vor, ich hab eine Arbeit gefunden! Der Goldene Leopold hat seit Neuestem nämlich ein paar Gästezimmer, da mach ich dreimal in der Woche sauber. Der Verdienst ist bescheiden, aber manchmal kriegt man ein Trinkgeld. Einmal hat mich der Wirt abgepasst und auf ein Gästebett geschmissen. Da hab ich ihm gesagt, dass ich mit dem Obersturmbannführer Graleitner aus Linz befreundet bin und dass dem so etwas sicher nicht gefallen wird können. Da hat der Wirt einen Schrecken bekommen und irgendetwas von einem blöden Missverständnis zusammengestottert. Seitdem lässt er mich in Ruhe. Wenn der wüsste, dass ich den Obersturmbannführer Graleitner nur erfunden habe!
Dass der Otto Trsnjek krank geworden ist, tut mir sehr leid. Ich hoffe, es geht ihm bald besser. Bitte schicke ihm meine herzlichsten Genesungswünsche! Hinter der grantigen Trafikantenhaut steckt nämlich eine zarte Menschenseele. Glaube ich zumindest. Es ist ja bestimmt nicht leicht, ein Bein im Schützengraben liegen zu lassen. Vor allem, wenn man sich fragt: für wen denn eigentlich? Da ist es kein Wunder, wenn auch die Seele ein bisschen wackelig daherkommt, oder?
Ehrlich gesagt, weiß ich nicht genau, was ich von Deiner Bekanntschaft mit dem Herrn Professor Freud halten soll. So ganz recht ist es mir nicht. Früher hab ich Dir den Umgang mit den anderen Buben ja noch verbieten können, wenn mir einer nicht gepasst hat. Die Zeiten sind vorbei. Du bist jetzt alt genug und wirst schon wissen, was Du machst. Aber bitte bedenke: Auch wenn die Juden noch so anständig sind, was nützt ihnen das, wenn sich um sie herum die ganze Anständigkeit schon längst verabschiedet hat?
Mein lieber Franzl, dass es mit dem Mädelchen einstweilen oder für immer nichts geworden ist, tut mir natürlich leid. Insbesondere, weil ja bekannt ist, wie gut die Böhminnen kochen. Andererseits: Wer weiß, für was das gut war! Manchmal muss man das eine gehen lassen, damit das andere kommen kann. Du fragst mich, ob ich irgendetwas über die Liebe weiß. Die Wahrheit ist: Ich weiß nichts darüber. Obwohl ich sie kennengelernt habe. Keiner weiß etwas über die Liebe. Und doch haben sie die allermeisten schon erlebt. Die Liebe kommt und geht, und man kennt sich vorher nicht aus, und man kennt sich nachher nicht aus, und am allerwenigsten kennt man sich aus, wenn sie da ist. Und deswegen lass Dir eines sagen: Niemand taugt für die Liebe, und trotzdem oder gerade deswegen erwischt sie fast jeden von uns irgendwann einmal!
Es bricht mir das Herz, wenn ich höre, dass Du manchmal traurig bist. Was soll ich Dir da sagen? Es gibt so viele Sorten Traurigkeit, wie es Lebensstunden gibt. Und wahrscheinlich noch ein paar mehr. Da ist es egal, ob Du weißt, woher diese oder jene Traurigkeit kommt. Das gehört zu unserem Leben. Wenn Du mich fragst, sind sogar die Tiere traurig. Und vielleicht auch die Bäume. Nur die Steine nicht. Die liegen einfach nur so herum und machen nichts. Aber wer will das schon?
Mein lieber Franzl, isst Du denn auch
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