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Der Trafikant / ebook (German Edition)

Der Trafikant / ebook (German Edition)

Titel: Der Trafikant / ebook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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Trafik. Die schauen Dich an, dass Du glaubst, sie meinen Dich ganz persönlich, und in Wirklichkeit schauen sie nur in eine Kamera hinein und denken an ein saftiges Rindsgulasch und kriegen jede Menge Geld dafür. Na ja, Du siehst: Mit der Kopfdurchschüttelung habe ich nicht übertrieben. Wenn der Brief einen roten Faden gehabt hätte, dann wäre er spätestens jetzt verlorengegangen oder zumindest ausgefranst. Deswegen also lieber schnell zur nächsten Thematik. Der Professor und ich sind inzwischen Freunde. (Und das kannst Du mir ruhig glauben!) Obwohl wir beide ja fast ständig arbeiten, verbringen wir möglichst viel Zeit miteinander. Wir sitzen auf der Bank, gehen in den Park und reden allerhand. Er raucht. Ich nicht. Ich frage ihn dies und das. Und er fragt mich dieses und jenes. Zwar wissen wir beide oft keine Antworten, aber das ist egal. Unter Freunden darf man auch einmal nichts wissen. Der Altersunterschied macht uns übrigens nichts aus. Da können die Leute schauen und sich das Maul zerreißen, wie sie wollen – uns ist das egal. Obwohl der Professor andererseits natürlich wirklich sehr alt ist. Manchmal, wenn ich ihn mir so anschaue, glaube ich, dass er aus irgendwelchen längst vergangenen Zeiten zu uns herübergewachsen ist. So wie der alte Zwetschgenbaum der sich hinter der Hütte so krumm und schief zum Ufer hinunterbeugt. Dass er ein Jud ist, stört mich überhaupt nicht. Wenn es mir der Otto Trsnjek nicht erzählt hätte, hätte ich es wahrscheinlich gar nicht bemerkt. Ich weiß sowieso gar nicht, warum die Leute alle derart draufhauen auf die Juden. Auf mich wirken sie eigentlich ganz anständig. Die Wahrheit aber ist: Ich mache mir schon ein bisschen Sorgen. Um den Professor und überhaupt. Wie gesagt: komische Zeiten. Und jetzt geht es auch schon zu einer weiteren, leider ziemlich unangenehmen Angelegenheit: Der Otto Trsnjek ist nämlich krank geworden. Nicht schlimm, aber immerhin. Die Leber vielleicht, oder die Nieren, oder irgendeine andere Innerei. Wenn Du mich fragst, ist es wegen dem ungesunden Essen. In Wien ist ja das Essen fast noch fetter als bei uns. Und mit nur einem Bein kann man auch keine großen Sprünge machen, sportlich gesehen, meine ich. Jedenfalls bleibt er erst einmal ein paar Tage zuhause, und es muss abgewartet werden. Ich werde ihm in Deinem Namen eine gute Besserung wünschen, wenn es recht ist?
    Liebe Mama, oft bin ich traurig und weiß warum. Oft bin ich aber auch traurig und weiß nicht warum, und das ist fast noch schlimmer. Manchmal wünsche ich mich selbst an den See zurück. Natürlich weiß ich, dass das nicht mehr so einfach geht. Ich habe schon zu viel gesehen und gerochen und geschmeckt. Ich weiß noch nicht wohin, aber es wird weitergehen. Und deswegen höre ich jetzt auf mit der Raunzerei. Ich trage nämlich wegen Otto Trsnjeks Abwesenheit ab sofort die vorübergehende Verantwortung eines geschäftsführenden Trafikanten und muss dementsprechend nach vorne schauen. Wenn Du möchtest, liebe Mama, sei stolz auf mich!
    Dein Franz
    Das Geschäft blieb zwar nicht ganz aus, doch es lief schlecht. Die jüdischen Kunden waren fast allesamt verschwunden. Vielleicht hatten sie wegen der Vorkommnisse der letzten Zeit die Trafik gewechselt, wie sich Franz dachte, oder sie hockten in ihren Wohnungen, hielten still und hatten das Lesen und das Rauchen vorübergehend eingestellt. Nur der alte Herr Löwenstein kam wie eh und je und besorgte sich seine ein oder zwei Schachteln Gloriette . Die schlechten Ohren, die noch schlechteren Augen und überhaupt die ganze sich langsam in seinem Körper ausbreitende Altersschwächlichkeit, machten ihn unempfänglich gegen die sich in der Stadt ausbreitenden und für das Volk Moses’ doch insgesamt eher unlustigen Vorgänge, wie er einmal erzählte und hernach leise kichernd zur Tür hinausdatterte.
    Aber auch die nichtjüdischen Kunden machten sich rar. Vermutlich weil sie abwarteten, wie sich alles entwickeln würde, die Situation insgesamt und insbesondere die der Trafik, die ja angeblich »Zärtliche Magazine« an Juden verkauft hatte und jetzt von irgend so einem komischen Waldbauernbuben geführt wurde. Denn abwarten war ja bekanntlich sowieso immer die beste und vielleicht sogar die einzige Möglichkeit, die verschiedenen Schwierigkeiten der Zeit unbeschadet an sich vorbeiströmen zu lassen.
    Die wenigen Leute, die noch kamen, hatten sich verändert. Viele trugen nun braune Hemden, manche hatten Hakenkreuzbinden oder

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