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Der Trafikant / ebook (German Edition)

Der Trafikant / ebook (German Edition)

Titel: Der Trafikant / ebook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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Kirch’ oder noch besser: auf dem Friedhof – bitteschön! – fangt schon wieder irgendjemand an zu palavern! Wahrscheinlich bleibt sich das sogar im Himmel oder unter der Erd’ gleich: Einer hat immer die Goschen offen. Aber ich sage Ihnen noch eines: Das meiste, von dem, was den Leuten den ganzen Tag so aus dem Gesicht fällt, kannst du gleich auf den Mist schmeißen! Weil nämlich zwar alle reden, aber keiner was weiß. Keiner kennt sich aus. Keiner ist im Bilde. Keiner hat eine Ahnung. Wobei: Heutzutage ist es vielleicht sowieso besser, nicht allzuviel Ahnung zu haben. Die Ahnungslosigkeit ist ja praktisch das Gebot der Stunde, das Nichtwissen das Leitmotiv der Zeit. Da kann man auch schon einmal hinschauen, ohne was gesehen zu haben. Oder hinhorchen und trotzdem nichts verstehen. Die Wahrheit ist die Wahrheit und aus , so sagt es sich für gewöhnlich. Ich aber sage: so ist es eben nicht! Zumindest bei uns, in unserer seligen Wienerstadt, gibt es so viele Wahrheiten wie Fenster, hinter denen Leut’ sitzen, die irgendetwas gesehen oder gehört oder gerochen oder immer schon gewusst haben wollen. Und was für den einen richtig ist, das ist für den anderen die größte Trottelhaftigkeit auf Gottes Erden und umgekehrt. Und jetzt geben S’ mir bitte einen Liter Milch, oder besser gleich zwei, weil was man hat, das hat man! Das Einzige, was übrigens in der Angelegenheit praktisch unstrittig ist: Es muss letzte Nacht gewesen sein. Und zwar so zwischen drei und vier. Das ist die Stunde der Ratten. Da haben die Politischen ausgeschrien, die Besoffenen nach Haus gefunden und die Milchlieferer sind noch nicht unterwegs. Was ein anständiger Mensch ist, der liegt um die Uhrzeit im Bett. Oder sitzt eben hinterm Fenster und stiert ins Dunkle hinaus. Aber natürlich: ein bisserl gehen die Meinungen schon auseinander. Die einen sagen, es war eher so um drei herum, die anderen meinen wiederum, es muss auf vier gegangen sein, weil es über den Dächern angeblich schon silbrig geworden ist. Ich aber behaupte: Einen Dreck war es silbrig! Es war stockdunkel, nicht einmal ein Zipferl vom Mond war zu sehen, die Straßen waren leer, und dementsprechend war alles hergerichtet für ein lichtscheues Gesindel. Wobei: Gesindel ist ja heutzutage relativ. Wer kann denn in die Köpfe von den Leuten hineinschauen? Die Absichten und Antriebe von einem Menschenhirn bleiben letztlich unergründlich, und was gestern noch ein Gesindel war, das setzt sich heute einfach einen anderen Hut auf und steht plötzlich als hochanständiger Mensch da. Aber bitte, man will ja nichts gesagt haben. Geben S’ mir bitte gleich auch noch zwanzig Deka Butter und drei Kilo Erdäpfel, aber nur die kleinen, mehligen, für einen ordentlichen Knödelteig. Also: Zwischen drei und vier ist es passiert. Und es war nur einer. Eine Person allein. Natürlich ein Mann, weil nämlich eine Frau auf eine derartige Hirnrissigkeit nicht einmal eine einzige Sekunde verschwenden würde. Die einen sagen, er war eher mittelalt. Die andern schwören Stein und Bein, dass er jung gewesen sein muss, weil er so schnell rennen hat können. Wie der Blitz soll der angeblich vom Morzinplatz herunter und die Berggasse hinaufgeschossen sein, nachdem alles vorbei war. Ein verwegener Bursch. Aber auch ein bisserl deppert, wenn Sie mich fragen. Wo die Verwegenheit daherkommt, kann nämlich die Blödheit nicht weit sein. Es ist ja nur das reine Glück, dass sie den nicht gleich erwischt haben. Praktisch das Glück des Depperten. Das muss man sich ja auch erst einmal vorstellen: Da lungern überall die Geheimen herum; an jedem Eck, vor jedem Geschäft, im Park, im Wirtshaus und sogar in der Kirch’, wo man hinschaut, sitzt oder steht einer herum – aber auf das eigene Hauptquartier vergessen s’! Wobei: So ganz vergessen haben sie es ja nicht. Immerhin sind ja dann doch irgendwann ein paar von denen angerannt gekommen. Aber erst nachdem es schon viel zu spät, der Morgen angebrochen und sozusagen die Flagge gehisst war. Apropos vergessen: Haben S’ einen guten Quargel? Nein, der ist nichts, der riecht mir nicht. Ein Quargel muss riechen, sonst ist es ja kein Quargel. Nehmen S’ ihn wieder weg, packen S’ mir zwei Bier ein und schreiben S’ mir dann die Rechnung, bittschön. Also, wie gesagt: stockdunkel, keine Sterne, kein Mond, kein Silberstreif über der Wienerstadt. Und deswegen kann schlussendlich auch keiner von den ganzen Fensterhockern wissen, wie sich die Angelegenheit genau

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