Der Trafikant / ebook (German Edition)
in ihr ausgebreitet, ein Unwohlsein, wie ein leichtes Fieber. Vielleicht sind das schon die weiblichen Hitzen, hatte sie gedacht, vielleicht ist es jetzt so weit. Sie hatte sich früh hingelegt, aber der Schlaf wollte nicht kommen, und so lag sie dann in ihrem Bett und starrte in die Dunkelheit hinauf und horchte in die Stille hinein. Die Stille in einer Fischerhütte, dachte sie, hört sich anders an als zum Beispiel die Stille im Wald. Oder die Winterstille unterm Schafberggipfel. Oder die Stille, die einem manchmal im Herzen sitzt. Die Geschichte mit dem feschen Fremdenführer hatte sich bald als Irrtum herausgestellt, nichts weiter als eine verwehte Fantasie, und vor wenigen Tagen war der Wirt wieder zudringlich geworden. In der Wirtshausküche hatte er ihr seine Hand in den Nacken gelegt und nach mehr gefragt. Auch diesmal hatte sie mit dem erfundenen Obersturmbannführer Graleitner gedroht, aber der Wirt hatte sich nicht beeindrucken lassen. Warum man diesen Herrn Graleitner eigentlich noch nie zu Gesicht bekommen habe, hatte er gefragt und dabei langsam seine Hand an ihrem Rücken hinuntergleiten lassen. Statt einer Antwort hatte sie das große Knochenmesser aus der Lade gezogen und dem schlagartig erstarrten Wirt mit einem einzigen ruhigen Schnitt vorne die Schürze aufgeschlitzt, die sich daraufhin wie ein schmutziger Vorhang geöffnet und die breiten Lenden des Wirten freigegeben hatte. Danach hatte sie das Messer in die hölzerne Küchenplatte gerammt und war gegangen. Jetzt war sie zwar arbeitslos, aber gar nicht so unglücklich damit. Die Luft war heiß, ihr Körper war heiß, und die Stunden krochen durch die Hütte wie träge Schatten. Als in der Abzugsluke über dem Herd der Mond auftauchte und den Raum mit seinem fahlen Licht füllte, legte sie ihre rechte Hand auf ihr Herz und weinte. Für ein paar Minuten fand sie Frieden, doch dann breitete sich die Unruhe wieder in ihr aus und vertrieb die letzten Tränen. Draußen flatterte ein Vogel aus dem Schilf, schlug mit den Flügeln hart gegen das Wasser und lachte wie ein heiseres Kind. In dem kleinen Fenster zur Seeseite ließ sich das erste Morgenlicht erahnen. Sie stand auf und ging hinaus. Barfuß ging sie zum See hinunter. Das Gras war feucht und kühl. Über die Wasseroberfläche zogen graue Dunstschleier, und dahinter waren die Umrisse des fernen Ufers zu erkennen. Lange stand sie so da, ließ sich die Füße vom Wasser umspülen und sah zu, wie sich der See langsam mit Licht füllte. Ein Schwarm junger Saiblinge flirrte um ihre Knöchel, hoch über ihr segelten Kormorane vorbei, und drüben lösten sich die drei großen Hakenkreuze aus dem Dunst. Die Mutter hörte ihr Herz pochen. Ein kleiner Schauder lief ihr den Rücken hinunter, und obwohl es warm war, zitterte sie. »Mein Bub«, sagte sie und schloss die Augen. »Wo bist du, mein Bub?«
Als Franz aufwachte, musste er lachen. Es war nur ein abgebrochener Laut, gegen die Zimmerdecke hinaufgeworfen, aber es kam ihm vor, als würde dieses Lachen dort oben zerplatzen und an der alten Tapete in alle Richtungen auseinanderperlen. Er blinzelte und rieb sich die Augen. Die Nacht war kurz gewesen. Fast zu kurz, um zu träumen. Einige wenige Traumfetzen hatten sich dennoch in ihn hineinverirrt und schimmerten jetzt noch schwach irgendwo tief in seinem Inneren nach. Schnell nahm er Bleistift und Zettel und schrieb sie mit flüchtig hingestrichenen Worten auf. Er stieg aus dem Bett, zog sich an und ging mit dem Zettel und einer Rolle Klebeband auf die Straße. Der Tag war strahlend heraufgezogen, die Währingerstraße lag in einer weichen Morgensonnenhelligkeit, und die ersten Passanten auf dem Weg zur Innenstadt schoben lange Schatten vor sich her. Franz stellte sich auf die Zehenspitzen, reckte seine Arme in die Höhe und gähnte. Wie immer war er pünktlich zur Ladenöffnungszeit aufgewacht. Was ein richtiger Trafikant ist, braucht keinen Wecker, hatte Otto Trsnjek einmal gesagt, und da hatte er recht gehabt. Franz machte sich daran, den Zettel an die Auslage zu kleben. Ein neuer Traum, ein neuer Tag, dachte er, und die Scheiben müssten auch wieder einmal feucht gewischt werden. Hinter sich hörte er das lauter werdende Blubbern eines Dieselmotors. Von der Votivkirche her näherte sich ein altmodischer, dunkler Wagen und hielt direkt vor der Trafik. Drei Männer stiegen aus, unter ihnen der Beamte mit dem verhärmten Gesicht.
»Wir hatten ja schon das Vergnügen«, sagte er. »Sollen wir uns
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