Der Trakt
Fläche bewegte sich ein wenig, dann kamen Worte direkt aus ihr heraus.
Sie hatte die Worte nicht verstanden, aber
… diese Stimme …
Mit gespreizten Daumen und Mittelfinger rieb sie sich über die Augen, zwinkerte nochmals, und sah
… Wittschorek.
Er saß schräg vor ihr. Mit einem Schlag war die Erinnerung da. Sie schrie auf und drückte sich mit den Füßen strampelnd auf dem weichen Untergrund ab, auf dem sie lag, um von diesem Kerl wegzukommen. Wittschorek beugte sich über sie und hielt sie fest. Wieder sagte er etwas, und seine Stimme klang dabei ruhig. Sie konzentrierte sich trotz ihrer Panik auf die Worte.
»Ruhig«, sagte er. »Ganz ruhig, Daniela. Es ist alles gut. Alles ist vorbei. Ihrem Sohn geht es auch gut. Sie müssen keine Angst mehr haben.«
Lukas!
»Wo ist mein Kind?«, schrie sie ihn an. »Was habt ihr mit ihm gemacht, ihr Schweine?«
»Ihr Sohn ist draußen auf dem Flur. Frau Wengler passt auf ihn auf.«
Frau Wengler passt auf ihn auf?
Daniela verstand nicht. Sie blickte an Wittschorek vorbei. Ein Krankenhauszimmer. Mit nur einem Bett, ihrem Bett.
Schon wieder?
»Wo bin ich? Und was machen Sie hier, Sie … –?«
Er lächelte. Tatsächlich. Er lächelte sie an, und es war nicht das hämische, gemeine Lächeln, wie sie es von diesem Robert kannte.
Robert.
Sie tastete instinktiv nach ihrer Wange, auf der etwas Weiches befestigt war. Eine Mullbinde vielleicht.
»Sie sind in der Münchener Uniklinik, wo Sie mit medizinischer Unterstützung über zwanzig Stunden geschlafen haben. Das hatten Sie auch nötig nach allem, was Sie erlebt haben.«
»Aber Sie haben …«
Wittschorek schüttelte den Kopf und deutete mit dem Kinn an ihr vorbei. Sie wandte sich widerwillig ab und verstand gar nichts mehr. Dort, auf der anderen Seite ihres Bettes, saß Oberkommissar Grohe und lächelte sie ebenfalls an.
Den Mann hab ich noch nie lächeln gesehen.
»Es ist wirklich alles in Ordnung, Frau Randstatt«, sagte er. »Wir … wir gehören tatsächlich zu den Guten. Beide.«
Sie starrte ihn noch immer verwirrt an: »Wo ist mein Sohn?«
Neben ihr stand Wittschorek auf und ging zur Tür. Sekunden später stürmte Lukas laut »Mami, Mami!« rufend ins Zimmer und warf sich halb über sie.
»He, langsam, junger Mann. Du musst deine Mutter ein bisschen schonen«, sagte Grohe und lächelte dabei schon wieder.
Daniela zog den kleinen Körper ein Stück zu sich hoch und küsste ihn immer wieder. Sie konnte gar nicht mehr damit aufhören, diesen kleinen Menschen zu drücken und zu riechen und zu spüren. Niemand störte sie dabei.
Irgendwann schob sie ihn ein Stück zurück, damit sie ihn ansehen konnte, und sagte: »Geht es dir gut, mein Sohn?«
Er strahlte. »Ja, Mami. Tante Rosie hat gesagt, wenn ich möchte, darf ich ruhig Oma Rosie zu ihr sagen. Darf ich?«
Daniela musste lachen, zuckte aber gleich von einem heftigen Stich in der rechten Wange zusammen. Lukas sah sie an und grinste. »Du siehst lustig aus, Mami.«
»Ja? Na, ich hab mir da an der Wange wohl ein bisschen weh getan.«
»Nein, das meine ich nicht«, entgegnete er verschmitzt. »Ich meine dein blaues Auge.«
Erschrocken sah sie zu Grohe herüber, der schmunzelnd nickte.
Sie gab Lukas einen Klaps auf den Hintern und sagte: »Nun geh mal nach draußen und hol mir Oma Rosie rein.«
»Was denkst du? Oma Rosie ist schon lange da, Kindchen«, sagte die bekannte Stimme vom Eingang her. Daniela hob den Kopf, registrierte den Schmerz und sah Rosie auf sich zukommen.
Sie umarmten sich stumm, dann sagte Rosie leise: »Du kannst ihnen vertrauen, Kindchen. Es ist eine total durchgedrehte Geschichte, aber die Kommissare hier haben uns tatsächlich da rausgeholt.«
Dann drückte sie ihr einen schmatzenden Kuss auf die Stirn und wandte sich an Lukas. »Nun komm mal wieder mit Oma Rosie nach draußen, deine Mama hat noch was mit den netten Polizisten zu besprechen.«
Als sie wieder allein waren, setzten Wittschorek und Grohe sich nebeneinander an Danielas Bett.
»Ähm, meinen Sie, Sie können schon die ganze Geschichte verkraften?«
Sie nickte: »Was ist mit Robert und diesem Hans? Sind sie tot?«
Die beiden Polizisten sahen sich kurz an, dann atmete Wittschorek tief durch.
»Ja, sie sind beide tot. Hans hat den Sohn von Professor Haas getötet. Er stand direkt neben Ihnen, und es war zu befürchten, dass er auch Ihnen was antut. Kollege Grohe musste ihn erschießen.«
Daniela hielt inne. »Ich hatte große Angst vor ihm, aber …
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