Der Trakt
Fähigkeiten von Synapsia«, zog Haas die Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Das Verfahren, für das Synapsia entwickelt wurde, ist bahnbrechend. Auch wenn zwei von Ihnen bald nichts mehr davon wissen werden, so wird es doch zumindest für Sie, Jane, interessant sein zu erfahren, wie Sie zu Jane Doe geworden sind.« Er stockte und sah Wittschorek an. »Und auch für Sie, Kommissar. Ich hoffe, Sie werden sich als würdig erweisen.«
Ohne eine Reaktion Wittschoreks abzuwarten, heftete sich sein Blick wieder auf Daniela.
»Wenn Sie sehen, was ich an Ihnen vollbracht habe, werden Sie verstehen, warum ich jeden Ihrer Gedanken der letzten beiden Tage kennen muss. Kommen Sie jetzt alle ein Stück näher.«
Daniela, die bis vor wenigen Augenblicken geglaubt hatte, Sibylle zu heißen, machte zwei Schritte auf ihn zu und zog Lukas mit sich. »Mami, ich möchte nicht mehr hierbleiben«, jammerte er, und es brach ihr fast das Herz. Beruhigend streichelte sie ihm über den Kopf und drückte sein Gesicht sanft gegen sich.
»Ich werde versuchen, meine Ausführungen in einfache Worte zu fassen«, begann Haas. »Solange die Humanmedizin existiert, versuchen die Menschen herauszufinden, wie unser Gehirn und im Besonderen unser Gedächtnis funktioniert.
›
Was ist das, womit wir uns erinnern, welche Kraft hat es und woher hat es sein Wesen?‹, fragte Cicero schon im ersten Jahrhundert. Man hat sich vorgestellt, wenn man weiß, wie und wo Erlerntes abgespeichert wird, kann man dem Menschen das Wissen quasi in das Gehirn einpflanzen. Schon seit vielen Jahren ist man den Synapsen auf der Spur, und die Wissenschaftler haben mittlerweile eine vage Vorstellung davon, wie unser Gedächtnis genau arbeitet. Aber eben nur vage. Ich hingegen habe das Geheimnis des menschlichen Gehirns entschlüsselt.«
Haas machte eine kurze Pause und blickte in die Runde.
»Wenn wir uns an einen Hund erinnern, dann existiert in unserem Kopf nicht etwa das Bild eines Hundes. Nein, ein Hund ist in einem ganzen Netzwerk von Nervenzellen gespeichert, die zusammen Dinge ergeben wie
Tier
,
Fell
,
Bellen
,
Gassi gehen, Apportieren,
Knochen
und so weiter. An den Kontaktstellen dieser Nervenzellen sitzen an unglaublich filigranen Verästelungen die Synapsen. Eine einzige Nervenzelle hat etwa 10 000 dieser Synapsen. Wenn wir nun etwas Neues erleben, lernen, oder sehen – bleiben wir bei dem Bild eines Hundes –, wird das von unserem Gehirn in seine Eigenschaften zerlegt, die in einem bestimmten Muster an synaptischen Verbindungen abgespeichert werden. Je öfter wir nun einen Hund sehen, umso fester wird diese Konstellation von Verbindungen zusammengeschweißt. Das flüchtige Merken wird zu einer dauerhaften Erinnerung.
Wenn Sie mir bis hierhin folgen konnten, wird Ihnen gleich auch klar sein, wie Synapsia funktioniert.«
Er hielt erneut inne, als müsse er die Spannung erhöhen.
»Wir schicken einen feinen Strom durch das gesamte neuronale Netzwerk des Gehirns. Wo immer eine Brücke zwischen den Synapsen besteht, kann der Strom fließen, überall, wo es keine Brücke gibt, endet er. Und genau in diesem Moment, in diesem winzigen Bruchteil einer Sekunde, wenn gleichzeitig alle feinsten Brücken von unserem Strom durchflossen sind, benutzt Synapsia den fließenden Strom wie ein Kontrastmittel und fertigt eine Schablone dieser Milliarden und Abermilliarden von Brücken an. Es ist eine absolut präzise Eins-zu-eins-Kopie des Originals. Ein Wunderwerk.«
Wieder machte er eine Pause und sah seine Zuhörer der Reihe nach an, als erwarte er ihren Beifall.
»Diese Schablone können wir abspeichern und einem Probanden wie einen Helm überstülpen. Wir benutzen das Gehirn eines anderen als Rohling, wenn Sie so wollen, indem wir alle synaptischen Verbindungen und damit auch die Erinnerungen überschreiben. Das heißt im Klartext, ich kann das Gehirn eines Priesters abziehen und es einem Schwerverbrecher als Empfänger aufsetzen. Oder aber, um praxisnah zu bleiben, ich ziehe das Gehirn einer unauffälligen Frau – nennen wir sie Sibylle Aurich – ab, um einer anderen Frau die Schablone aufzusetzen, zum Beispiel Daniela Randstatt.«
Eine Weile herrschte Stille in dem Raum. Daniela starrte auf die Konstruktion und hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Nur mit Mühe konnte sie das Würgen unterdrücken.
»Das ist pervers!«, spuckte Grohe regelrecht aus. »Sie sollten als Erstes Ihr eigenes krankes Hirn überschreiben lassen.«
»Warum wird dabei so was
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