Der Trakt
geschickt, um sie abzuholen. Der Mann blieb vor ihnen stehen und wandte sich an den Oberkommissar. »Guten Tag«, sagte er freundlich, »Muhlhaus, was kann ich für Sie tun?«
Sibylle starrte den Mann an.
Dieser Albtraum.
Sie sprang auf und sagte: »Sie … Sie sind nicht der Dr. Muhlhaus, den ich meinte. Wo ist der andere Dr. Muhlhaus, der heute Morgen hier war? Der Chefarzt?«
Als der Mann die beiden Polizisten fragend ansah, erhob Grohe sich und sagte: »Ich bin Oberkommissar Grohe, mein Kollege Kommissar Wittschorek. Wir werden Ihre Zeit nur kurz in Anspruch nehmen, Dr. Muhlhaus. Kennen Sie diese Frau?«
Der Arzt musterte Sibylle eingehend und schüttelte den Kopf. »Nein, ich kenne sie nicht.« Sein Blick wanderte zurück zu ihren Augen. »Was meinten Sie mit dem ›anderen Dr. Muhlhaus‹? Es gibt außer mir hier niemanden, der so heißt. Und der Chef des Hauses ist Professor Dr. Kleinschmitt.«
Grohe warf seinem Kollegen einen triumphierenden Blick zu. »Na, zufrieden? Können wir jetzt fahren?«
»Nein!«, rief Sibylle entsetzt. »Bitte. Dann hat sich jemand anderes als Dr. Muhlhaus ausgegeben. Der Mann ist schlank, nicht sehr groß, um die fünfzig, schwarzes Haar. Der Keller. Wir müssen in den Keller gehen, dann sehen Sie, dass ich die Wahrheit gesagt habe.«
Wittschorek wandte sich an den großen Mann. »Wäre es möglich, einen Blick in den Keller des Hauses zu werfen?«
»Das ist doch lächerlich«, warf Grohe ein, bevor Dr. Muhlhaus antworten konnte. Wittschorek ignorierte den Einwand und sah den Arzt fragend an. Der war sichtlich verwirrt. »Nun, ja, sicher. Was möchten Sie sehen? Die Pathologie oder den Leichenkeller? Oder die Bäderabteilung? Wir haben hier zwei Kellergeschosse. Wonach suchen Sie eigentlich, wenn ich fragen darf?«
»Wir müssen hinten rum«, sagte Sibylle schnell, »durch den Garten. Den Raum, den ich meine, erreicht man glaube ich nur durch das Treppenhaus, vom Garten aus, auf der Rückseite.«
»Jetzt reicht’s aber.« Grohes Gesicht war rot angelaufen.
Wittschorek sagte ruhig: »Wenn wir schon mal hier sind, kann es doch nichts schaden, uns den Keller mal anzuschauen.«
»Wenn Sie möchten, lasse ich Ihnen den Hausmeister kommen«, bot Muhlhaus an. »Wenn jemand die Kellerräume hier unten kennt, dann er.«
Sibylle sah Wittschorek hoffnungsvoll an. Als der nach einem kurzen Blick zu seinem Kollegen nickte, verdrehte Grohe in einer übertriebenen Geste die Augen, sagte aber nichts mehr.
Dr. Muhlhaus wandte sich ab und ging mit wehendem Kittel zur Information. Als Sibylle sich wieder auf den Stuhl fallen ließ, fiel ihr der Mann am Kiosk ein. Der Platz, an dem er gestanden hatte, war leer. Sie suchte die ganze Eingangshalle ab, doch er war nirgends zu entdecken. Wahrscheinlich hatte sie sich geirrt und er wollte nur ein wenig mit ihr flirten. Mit einem Seufzer senkte sie den Kopf und sah auf den Boden vor ihren Füßen.
Es dauerte höchstens zwei Minuten, bis der Hausmeister vor ihnen stand. Der Mann konnte 45, ebenso gut aber auch 50 sein, war ungefähr so groß wie dieser angebliche Dr. Muhlhaus, aber deutlich schlanker. Der graue Kittel, den er über Jeans und einem rot karierten Hemd trug, hing über seinen knochigen Schultern wie auf einem Drahtkleiderständer und verlieh ihm ein schlaksiges Aussehen.
Er begrüßte sie freundlich und stellte sich als Heiko Feith vor. Nachdem Wittschorek ihm erklärt hatte, wonach sie suchten, verabschiedete sich Dr. Muhlhaus mit der Begründung, es warteten noch ambulante Patienten auf ihn, und Wittschorek, Grohe und Sibylle folgten dem Hausmeister ins Treppenhaus, wo er sie erst eine Etage nach unten und anschließend durch Gänge und Räume führte, die alle ähnlich aussahen. Sibylle hatte schon nach kurzer Zeit die Orientierung verloren. Das Gefühl, sie würde nie wieder alleine dort herausfinden, wurde mit jeder weiteren Tür und jedem weiteren Flur intensiver. Schließlich blieb Feith vor einer massiven Eisentür stehen und versuchte sie zu öffnen. Er musste mehrmals fest daran ziehen, bis sie sich mit einem schleifenden Geräusch öffnen ließ. Sie gingen hindurch und standen in dem düsteren Treppenhaus, das Sibylle vom Vormittag her kannte. Sie waren auf einer kleinen Plattform herausgekommen, die sich in der Mitte zwischen den vier kurzen Treppen befand. Sibylle hatte die Tür bei ihrer Flucht am Morgen nicht bemerkt, was sie aber nicht wunderte. »Hier! Hier müssen wir runter!«, erklärte sie aufgeregt und
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