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Der Trakt

Der Trakt

Titel: Der Trakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Strobel
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der Leichenkeller ist sicher abgeschlossen. Zumindest wird ein Schild an der Tür hängen, ganz bestimmt. Denk an was Schönes! Lukas …
Vorsichtig ging sie weiter. Nicht nur aus den Rohren über ihrem Kopf kamen die seltsamsten Geräusche, auch vor und hinter ihr knackte und knarrte es, und nachdem das Wort Leichenkeller sich einmal in ihrem Kopf festgesetzt hatte, hörten sich diese Geräusche sehr unheimlich an. Nach ein paar Schritten sah sie sich mit klopfendem Herzen um, ohne zu wissen, wer oder was hinter ihr hätte her sein können.
Ich muss hier raus, verdammt … Lukas …
Als sie sich das Gesicht ihres Sohnes vorstellte, wurde sofort jeder Gedanke an den Leichenkeller oder irgendwelche Geräusche bedeutungslos.
    Sie musste aus diesem Labyrinth heraus und ihren Jungen finden, der sich vielleicht in Gefahr befand. Ihre Schritte wurden schneller. Nur wenige Türen später stand sie in dem hellen, freundlichen Treppenhaus und 14 Stufen später in der Eingangshalle des Krankenhauses.
    Betont langsam durchquerte sie das Foyer und hoffte, dass ihr Gesichtsausdruck möglichst gleichgültig wirkte. Als sie endlich vor dem großen Gebäude stand, atmete sie tief durch und sah sich nach allen Seiten um. Als Erstes musste sie von diesem unseligen Krankenhaus weg. Sie entschied sich dafür, nach links zu gehen, um zur Adolf-Schmetzer-Straße zu kommen, an der Rosie sie aufgelesen hatte.
    Rosie!
Sibylle fiel ein, dass der Zettel mit der Telefonnummer noch immer in ihrem Slip steckte. Sie hatte keine Vorstellung davon, wie es weitergehen sollte, aber bei der etwas verrückten Dame wäre sie für den Moment zumindest in Sicherheit. Irgendwie musste sie in Erfahrung bringen, wo ihr Sohn war und wie es ihm ging. Sie musste eine Telefonzelle finden – nein, zuerst ein Geschäft, in dem sie Geld wechseln konnte, ein Münzfernsprecher würde wohl keinen 20-Euro-Schein akzeptieren.
    Etwa 100 Meter vor der großen Kreuzung, die sie Stunden zuvor von der Parallelstraße aus erreicht hatte, kam sie an einem Lebensmittelladen vorbei, einem der gemütlich anmutenden, immer selteneren Tante-Emma-Läden. Hinter einer kleinen Theke stand ein überraschend junger Mann und lächelte ihr freundlich entgegen. Er war höchstens Ende zwanzig und mochte vielleicht einer der wenigen Söhne sein, die bereit waren, den Laden ihrer Eltern zu übernehmen.
    Neben einer modernen Registrierkasse waren unter einer Art Kuchenglocke aus Plexiglas belegte Brötchen aufgetürmt. Als Sibylle sie sah, wurde ihr bewusst, dass sie überhaupt noch nichts gegessen hatte, seit sie aufgewacht war. Das flaue Gefühl im Magen hatte sie in den vergangenen Stunden verdrängt, oder es war in dem Druck untergegangen, der permanent auf ihrer Magengegend lastete, seit sie von einem Albtraum in den nächsten zu fallen schien.
    Sie entschied sich für ein Käsebrötchen, zahlte mit einem Zwanziger, und nachdem sie das Wechselgeld in ihre Hosentasche gesteckt hatte, wurde sie von dem jungen Mann so überschäumend verabschiedet, als hätte sie gerade den halben Laden leer gekauft. »Und beehren Sie mich bald wieder«, rief er ihr noch nach, als sie schon zur Tür heraus war.
    Sie ging bis zu der Kreuzung und wandte sich dort nach rechts, weil sie so die Straße nicht überqueren musste. Zwischendurch biss sie immer wieder in das Brötchen und stellte dabei fest, wie köstlich ein simples Käsebrötchen sein konnte. Etwa einen Kilometer weit musste sie an der Reihe Wohnhäuser vorbeilaufen, die nur hier und da durch die Fensterfronten von Geschäften unterbrochen wurde, bis sie endlich entdeckte, wonach sie gesucht hatte.
    Sibylle hatte schon seit Jahren kein öffentliches Telefon mehr benutzt und wunderte sich darüber, dass der Apparat nicht in einer geschlossenen Zelle hing, sondern einfach an einer pinkfarbenen Säule, die am hinteren Rand des Bürgersteiges aufgestellt war. Nach einem kurzen Blick nach allen Seiten öffnete sie die Jeans und suchte mit zwei Fingern an der Stelle in ihrem Slip, wo sie den Zettel mit Rosies Telefonnummer eingesteckt hatte. Glücklicherweise war er nicht verrutscht, so dass sie nicht lange suchen musste. Die Zahlen waren zwar etwas verschmiert, weil der Zettel wohl von ihrem Schweiß ein wenig feucht geworden war, aber sie konnte die Telefonnummer noch problemlos entziffern. Es klingelte nur zweimal. »Rosemarie Wengler, einen schönen guten Tag.«
    Vor Erleichterung atmete Sibylle tief durch. »Hallo, Rosi«, sagte sie zaghaft.

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