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Der Trakt

Der Trakt

Titel: Der Trakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Strobel
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Wengler von jemandem sozusagen als Gutachterin auf dich angesetzt worden ist. Darum, und nur darum hat man dich entkommen lassen.« Sibylle sank in sich zusammen. Hörte das denn nie auf? Musste es immer noch schlimmer kommen?
    »Rosie«, flüsterte sie,
Rosie
, und dann: »Entschuldige mich bitte.«
    Sie erhob sich und sah sich nach einem Hinweisschild zur Toilette um. Über der gläsernen Durchgangstür vor ihr entdeckte sie es.
    Sie hatte das Gefühl, zu schwanken wie auf einem Schiff bei mittlerem Seegang. In der Sitzgruppe hinter Christian saß ein Mann unbestimmbaren Alters mit extrem kurzen, blonden Haaren und hellgrauen Augen, die so kalt glänzten wie Glasperlen. Einen Moment lang hatte Sibylle das Gefühl, diese Augen schon einmal gesehen zu haben.

30
    Hans sah Jane in die Augen und wartete gespannt darauf, wie sie reagieren würde. Wieder war sie ihm ganz nah, und es war, als hielte sie seine Augen mit Zauberkräften gefangen.
    Einen kleinen Moment lang sah es so aus, als könne sie sich an ihn erinnern, doch dann war es schon wieder vorbei. Sie wandte sich von ihm ab und ging weiter, wahrscheinlich zur Toilette. Hans lehnte sich verwirrt zurück.
    Er wollte jetzt nicht darüber nachdenken, was bald unabwendbar sein würde. Er fragte sich, wie es weitergehen würde, wenn sie in München ankamen. Er konnte nicht verstehen, wie es der Doktor schaffte, zu entscheiden, was als Nächstes zu tun war. Aber das war auch nicht Hans’ Aufgabe. Die Gesamtlage zu überblicken und dann die richtigen Entscheidungen zu treffen war die Aufgabe der Offiziere. Sein Doktor-Offizier hatte die Entscheidung getroffen, Jane nach München fahren zu lassen und zu sehen, was sie dort tat und auch, was sie herausfand.
    Es war nicht einfach gewesen, sich am Bahnhofsschalter so nah bei Jane aufzuhalten, dass er verstehen konnte, wohin sie wollten. Nun saß er eine Reihe hinter Jane und ihrem Begleiter und hatte der Unterhaltung der beiden zugehört. Nur wenn die anderen Fahrgäste zu laut wurden, konnte er sie nicht verstehen.
    Jedes Mal, wenn Jane etwas sagte, sog er ihre Stimme in sich auf, und war enttäuscht, als sie das Gespräch unterbrach, um zur Toilette zu gehen.
    Hans erhob sich und ging in die andere Richtung. Er wollte nachsehen, wer sich sonst noch unter den Fahrgästen befand. Als er an der nächsten Sitzgruppe vorbeikam, war sein Blick starr geradeaus gerichtet.

31
    Sibylle saß vornübergebeugt auf dem geschlossenen Toilettendeckel, die Hände vorm Gesicht, und roch ihren eigenen, warmen Atem.
    Ich möchte so gern weglaufen, irgendwohin, wo nicht nur ich nicht erkannt werde, sondern wo auch ich selbst keinen Menschen kenne. Gleiche Chancen für alle. Irgendwo. Vielleicht München?! Vielleicht kann ich da einfach alles hinter mir lassen und neu anfangen. Neu anfangen? Von der Polizei gesucht, ohne Ausweis, ohne sicher zu wissen, wer du bist und welche deiner Erinnerungen real sind und welche Fiktion?
    Ohne Kind?
    Ihr Verstand sagte ihr, dass Lukas nicht existierte. Nicht in der realen Welt. Und trotzdem schrie ihr verzweifeltes Herz noch immer nach ihrem Kind. Es gab diesen Schmerz, der schlimmer war als alles, was sie sich je hätte vorstellen können, denn er war nicht in der Realität geboren und konnte dadurch auch nicht in ihrem realen Leben vergehen.
     
    Christian hatte sie also die ganze Zeit über belogen – ein Polizeibeamter, der sie als Lockvogel benutzte und sich gerade strafbar machte, weil er ihr half, anstatt sie zu verhaften.
    Letztlich war ihr ein Polizist Christian Rössler eigentlich viel lieber als ein Christian Rössler, der verzweifelt seine Schwester suchte und dabei genauso ahnungslos war wie sie selbst. Auch wenn er inoffiziell handelte, so war es doch ein beruhigendes Gefühl für sie, einen Polizeibeamten an ihrer Seite zu haben, der mit Kommissar Wittschorek in ständiger Verbindung stand. Und es war ein gutes Gefühl zu wissen, dass dieser Wittschorek ihr glaubte.
Ein bisschen Sicherheit, wenigstens ein bisschen.
    Wenn Christian mich nicht wieder belogen hat.
    Aber das herauszufinden, würde recht einfach sein. Sie würde sich sein Mobiltelefon geben lassen, Kommissar Wittschorek noch einmal anrufen und ihn fragen.
    Sie nahm die Hände von den Augen weg, blinzelte einige Male, damit die Schlieren vor den Augen verschwanden, und starrte auf die dünne, holzfurnierte Tür direkt vor sich.
Aber … Rosie? Kann man sich in einem Menschen so sehr täuschen?
Sie bemerkte, dass sie

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