Der transparente Mann (German Edition)
sich längstens bezahlt gemacht.«
Deshalb also nimmt er alles mit so einer Leichtigkeit!, dachte Joe mit leichtem Unmut. Konstantin hatte das große Geschäft gemacht. Er hatte durch sie nur profitiert.
»Man muss immer zwei Seiten sehen. In jedem Negativen findest du etwas Positives«, philosophierte Konstantin weiter.
Joe schwieg auf diese Plattitüde. Ihr hatte die Webpage nur Ärger bereitet, und zwar eine Menge Ärger. Denn wäre sie nach dem Dixi-Klo-Anschlag nicht in diesem desolaten Zustand gewesen, hätte sie nie mit Marc geschlafen. Dann wären sie ganz sicher heute noch Freunde.
Nachdenklich blickte Joe aus dem Fenster. Sie fuhren durch die Ludwigstraße, vorbei an der Universität, an der alles einst begonnen hatte. Ein ganzes Leben schien zwischen dem Gestern und dem Heute zu liegen, dabei war seit ihrer ersten Begegnung mit Konstantin nicht mal ein Jahr vergangen. Damals hatte sie unbedingt Architektur studieren wollen. Heute schmunzelte sie darüber. Sie brauchte keinen schicken, angesehenen und sauberen Beruf mehr. Sie hatte endlich ihren Platz gefunden. Sie liebte ihre Arbeit. Heute stand sie dazu, Sanitärinstallateurin zu sein. Dass Gas, Wasser und Scheiße zu ihrem Alltag gehörten, war Joe jetzt piepegal.
»Wohin fahren wir überhaupt?«, fragte sie, denn dies war mit Sicherheit nicht der Weg zum »Vier Jahreszeiten«.
»Lass dich überraschen, mein Herz. Surprise, surprise.« Konstantin lächelte so vielsagend, als hätte er den Superjackpot für sie bereitgestellt, aber Joe fand seine locker-flapsigen Sprüche, die sich allzu oft wiederholten, zunehmend nervtötend.
Am Englischen Garten parkte er seinen Wagen. Natürlich mitten im absoluten Halteverbot. Hätten ihn nicht rot-weiße Pfosten an der Einfahrt auf den Kiesweg gehindert, wäre er hundertprozentig mitten in den Park hineingefahren. Das war typisch Konstantin! Regeln galten nicht für ihn, sondern nur für andere. Zumindest in diesem Punkt hatte er sich kein bisschen geändert!
Joe studierte sein Gesicht mit dem ausgeprägten Kinn, das für sie früher ein Zeichen seiner Entschlossenheit gewesen war. Heute kam es ihr vor, als dokumentierte es lediglich Rücksichtslosigkeit. Spontan fiel ihr eine Fabel aus Kinderzeiten ein, die ihre Mutter ihr einmal erzählt hatte.
»Kennst du eigentlich die Geschichte vom Frosch und vom Skorpion?«, fragte sie deshalb. »Du hast mich gerade an sie erinnert.«
»So? Ist die erotisch?« Konstantin stellte den Motor ab, legte seinen Arm um ihren Rücken und blickte sie schelmisch an.
Joe verdrehte die Augen, begann dann aber doch zu erzählen: »Ein Skorpion steht am Ufer eines kleinen Teichs und bittet einen Frosch, ihn über das Wasser zu tragen. Der Frosch schüttelt den Kopf und antwortet: ›Das geht doch nicht. Du bist ein Skorpion, und du wirst mich töten.‹«
Konstantin lachte, doch in seinem Blick stand bereits jetzt die Langeweile geschrieben. Trotzdem redete sie ungerührt weiter:
»Der Skorpion entgegnet: ›Niemals würde ich dich töten. Da wäre ich doch dumm. Dann würden wir ja beide sterben.‹ Das leuchtet dem Frosch ein, und er lässt den Skorpion aufsitzen. Kaum aber sind sie mitten auf dem Teich, spürt der Frosch den tödlichen Stachel und schreit: ›Wieso hast du das gemacht? Jetzt sterben wir beide!‹ Der Skorpion entgegnet mit Bedauern: ›Ich konnte nicht anders. Das ist mein Charakter.‹«
Als sie geendet hatte, sah Konstantin sie irritiert an. »Das hast du schön erzählt. Aber was hat das mit mir zu tun?«
Statt einer Antwort zuckte Joe ratlos mit den Schultern, öffnete die Wagentür und stieg aus, während sich Konstantin gut gelaunt am Kofferraum zu schaffen machte. Joe wusste, dass er nichts, aber auch rein gar nichts verstanden hatte. Auch weitere Erklärungen würden daran nichts ändern.
»Ich bin wirklich ein anderer geworden, wenn es das ist, was du mit der Geschichte vom Skorpion gemeint hast. Und das beweise ich dir jetzt«, behauptete Konstantin mit einem geheimnisvollen Lächeln. Daraufhin hievte er einen schweren Plastikeimer mit Deckel aus dem Kofferraum.
Für ein Picknick nicht gerade die schönste Verpackung, wunderte sich Joe und half Konstantin dennoch, den schweren Eimer zu tragen, in dem es merkwürdig schwappte. Sie schlugen den schmalen Weg in Richtung Eisbach ein.
»Was ist denn da drin?«, wollte Joe wissen.
»Gleich.« Suchend ließ Konstantin seinen Blick am Ufer entlangwandern, bis er die passende Stelle gefunden hatte.
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