Der transparente Mann (German Edition)
Handflächen feucht werden. Sie würde Marc unter gar keinen Umständen anrufen. Sie würden sich auch ohne Marc amüsieren.
Entschlossen ging sie in die Küche, um gemeinsam mit Alf den Hauptgang zu servieren. Später, nach dem Essen, spielten sie unermüdlich Scharade, denn das erschien Joe in dieser Situation besser, als darüber zu diskutieren, warum Marc wohl so demonstrativ durch Abwesenheit glänzte.
Selbst als sich mit einem dumpfen Knall um Mitternacht der Korken löste, war er noch nicht da. Der Rosé-Champagner floss in nur drei Gläser. Fein und hell klangen die kristallenen Flöten, als Joe mit Alf und Thomas auf ihr neues Lebensjahr anstieß. Die Männer strahlten sie an, und Joe strahlte angestrengt zurück. Trotz all der Wünsche, Umarmungen und Küsse, die wirklich von Herzen kamen, fühlte sie sich plötzlich unerträglich allein. Joe musste die aufsteigenden Tränen zurückhalten, kämpfte aber hartnäckig gegen die Traurigkeit an. Sie schrieb sie der Mischung aus Rotwein und Champagner zu, denn sie konnte es nicht akzeptieren, wegen Marc so traurig zu sein – ausgerechnet an diesem Abend, an dem sie doch so glücklich sein wollte!
Eine Stunde später bedankte sie sich nochmals bei Alf und Thomas für den so liebevoll gestalteten Geburtstag und verabschiedete sich mit einem müden Lächeln. Sie wollte so schnell wie möglich ins Bett. Einfach nur die Augen schließen, abschalten und schlafen.
Doch kaum lag sie in den Federn, waren die Tränen wieder da. Dieses Mal flössen sie unaufhaltsam und in Strömen. Joe erstickte ihr Schluchzen im Kopfkissen.
Als sie sich wieder beruhigt hatte, brannten ihre Augen, und sie fühlte sich leer und erschöpft. Sie musste sich eingestehen, dass Marc auch privat mit ihr gebrochen hatte. Wollte er denn wirklich gar nichts mehr von ihr wissen? Sie spürte den tränennassen Kopfkissenbezug an ihren Wangen, hob den Kopf, griff nach einem Papiertaschentuch auf dem Nachttisch und schnäuzte kräftig hinein. Vielleicht, so überlegte sie mit kindlicher Hoffnung, war er ja verreist – oder er lag im Koma? Gleichzeitig aber wusste sie, wie unsinnig diese Überlegung war. Ihre Worte von damals, die ihr jetzt wahnsinnig leid taten, waren schuld an allem. Hätte sie Marc nur nie gesagt, dass die Nacht mit ihm ein Fehler gewesen war! All diese verletzenden Worte hätte Joe jetzt gern zurückgenommen, denn ein Leben ohne seine Freundschaft war für sie unvorstellbar.
Deprimiert presste Joe ihr Gesicht in das Kissen, schluchzte hin und wieder auf, bis der Schlaf sie endlich übermannte und von ihren düsteren Gedanken erlöste.
Das Klingeln riss Joe unsanft aus dem Schlaf. Wer zum Kuckuck klingelte am Sonntagmorgen schon um neun Uhr an ihrer Tür? Genervt wälzte Joe sich in ihrem Bett auf die andere Seite. In der Hoffnung, dass sich alles von selbst erledigen würde, vergrub sie ihren Kopf erneut im Kissen. Doch ihr Wunsch erfüllte sich nicht. Erneut schellte es an der Tür. Leider war Alf längst nicht so neugierig wie sie selbst, das wusste Joe. Er würde nicht öffnen gehen. So kam sie nicht umhin, selbst aufzustehen, wollte sie herausfinden, wer der unangemeldete Besucher war.
Seufzend erhob sie sich. Erst jetzt fiel ihr wieder ein, dass ja heute ihr Geburtstag war. Mit einem Schlag war sie hellwach.
Auf dem Weg zur Tür schlüpfte sie hastig in ihren Bademantel und stieß sich dabei den kleinen Zeh an einer leeren Weinflasche, die noch auf dem Boden stand. »Autsch!«, fluchte sie leise, dann humpelte sie aufgeregt weiter zur Tür und dachte dabei an Marc. Ganz schnell fuhr sie sich noch einmal durch die Haare. Das musste reichen, denn zu mehr blieb ihr keine Zeit.
Als sie die Tür geöffnet hatte, sah sie rote Rosen in Hülle und Fülle. Der riesige Strauß füllte den ganzen Türrahmen aus. Das zweite, was sie sah, war Konstantin, der nun hinter den Blumen mit einem strahlenden Lächeln auftauchte, und die Gesichtszüge entglitten ihr.
» Surprise, surprise!«, rief er heiter. »Und damit du siehst, dass ich dazu gelernt habe, bringe ich dir die Blumen höchstpersönlich vorbei. Happy birthday, mein Herz!« Verschmitzt zwinkerte er ihr zu. Dabei hatten seine blauen Augen das berühmt-berüchtigte Funkeln, das Frauen zuerst butterweich in seinen Armen zu Fall brachte, bevor sie dann irgendwann später doch hart auf dem Boden der Tatsachen landeten.
Überrascht starrte Joe Konstantin an. War der Schreck allein dafür verantwortlich, dass ihre Knie plötzlich
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