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Der transparente Mann (German Edition)

Der transparente Mann (German Edition)

Titel: Der transparente Mann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Sixt , Barbara Wilde
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Es war eine Stelle, die flach ins Wasser führte. Dort gingen sie hin und stellten den Eimer ab. Dann baute sich Konstantin feierlich vor Joe auf und erläuterte: »Die buddhistischen Mönche haben einen wunderschönen Brauch: Zum Geburtstag schenken sie Leben.«
    Joe starrte Konstantin an. Dann hätte sie beinahe laut gelacht, da sie sich nur zu gut an die Geschichte erinnerte, von der Thomas vor Monaten gesprochen hatte und die er für seine Kunden als esoterische Inspiration auf farbiges Papier hatte drucken lassen. Joe hatte es damals bereits geahnt. Der Kunde, der Frauen nach dieser Anregung durch lebendige Geschenke beeindrucken wollte, war kein Geringerer als Konstantin. Trotzdem war sie zu neugierig, um diese Charade schon jetzt zu beenden.
    »Also die Buddhisten … die retten ein Tier vor dem Tod. Sie lassen einen Vogel aus dem Käfig frei oder schenken einem Fisch die Freiheit«, fuhr er fort, bevor er den Deckel öffnete und sie erwartungsvoll anblickte. »Schau!«
    »Oh Gott! Das arme Tier!«, entfuhr es Joe entsetzt, als sie in den Eimer blickte. Mit dem Bauch nach oben trieb eine Forelle im klaren Wasser.
    »Wieso ist die tot?« Konstantin war fassungslos.
    »Ohne Sauerstoff? Du bist echt ein Idiot!!«
    »Dafür kann ich doch nichts.« Bestürzt hockte er sich vor den Plastikeimer und schaute von der Forelle zu Joe und wieder zurück. Als könnte er dadurch alles wieder retten, fügte er zerknirscht hinzu: »Und dann wollte ich mit dir in die Sonne fliegen. Noch vor dem Winter. Du kannst dir aussuchen, wohin.«
    »Lass mal«, widersprach Joe und wunderte sich, wie leicht und freundlich ihr das über die Lippen kam. Doch sie war ihm weder böse noch hatte sie das kleinste bisschen Lust auf ihn. Konstantin war halt Konstantin. Joe verspürte lediglich das dringende Bedürfnis, auf der Stelle davonzulaufen. Sie registrierte seinen musternden Blick, und als sie ihn ansah, konnte er in ihren Augen lesen, dass er sie für immer verloren hatte.
    Daraufhin drehte Konstantin sich abrupt um. Er beachtete Joe nicht weiter, drückte den Deckel auf den Eimer und setzte sich darauf, wobei er Joe demonstrativ den Rücken zukehrte. Wie ein kleiner Junge, dem man die Spielzeugeisenbahn weggenommen hatte, starrte er schmollend aufs Wasser und hoffte offensichtlich auf eine Reaktion von Joe.
    Ihr war sein Verhalten egal. Ohne sich noch einmal umzudrehen, ging sie fort, bis seine Worte sie einholten.
    »Johanna!«
    »Ich bin Joe!«
    »Von mir aus. Ich weiß genau, was in Wirklichkeit passiert ist. Und du wagst es, von Treue zu sprechen. Dabei habe ich ihn noch im Treppenhaus getroffen. Netter Kerl, bisschen einfach vielleicht, aber er ist ja nur einer von deinen Arbeitern.«
    Joe zuckte zusammen. Dass Konstantin Marc im Treppenhaus gesehen hatte, war ihr gleichgültig. Und es interessierte sie auch nicht, was er von Marc hielt. Aber dass Marc auch Konstantin erkannt hatte, war eine Katastrophe. Jetzt glaubte er sicher, sie wäre wieder mit ihm zusammen. Bei diesem Gedanken wurde Joe so schlecht, dass sie schon fürchtete, sie müsse sich übergeben, aber sie riss sich zusammen. Aufrecht setzte sie ihren Weg fort, doch sie legte jetzt an Tempo zu.
    »Der passt zu dir«, hörte sie Konstantin noch rufen, doch seine Bemerkung drang gar nicht mehr zu ihr durch. Plötzlich kamen ihr wieder Marcs Worte in den Sinn: »Damit du gut durch die Kälte kommst«, hatte er zu ihr gesagt, als er ihr das Geschenk überreicht hatte. Langsam dämmerte es ihr. Kälte hieß Winter. Es könnte ein Hinweis darauf sein, dass Marc den Winter über wieder einmal nicht in Deutschland bleiben würde.
    Joe wurde siedend heiß bei dem Gedanken, dass Marc vielleicht wirklich für Monate verreisen würde. Sie mochte schon gar nicht daran denken, dass er möglicherweise bereits im Flieger saß. Sie zog die Schuhe aus und rannte die Straße entlang. Wieso war nie ein Taxi da, wenn man gerade dringend eines brauchte? Die paar, die an ihr vorbeifuhren, waren bereits besetzt. In ihrer Verzweiflung war Joe nahe daran, auf die Fahrbahn zu springen und einfach irgendeinen Wagen anzuhalten, als sie endlich inmitten der vorbeirauschenden Fahrzeuge jene vier erlösenden, gelb beleuchteten Buchstaben erspähte. Heftig gestikulierend machte sie auf sich aufmerksam.
    Das Taxi hielt, sie sprang hinein, und Joe konnte sich nicht erinnern, jemals so erleichtert gewesen zu sein. In zehn Minuten würde sie bei Marcs Wohnung sein. Während der türkische Taxifahrer sein

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