Der transparente Mann (German Edition)
befreundet, als dass er sich einfach davonstehlen konnte. Sie zog ihr Handy heraus, drückte auf Empfangen und sah sofort: Die SMS kam nicht von Marc. Sie kam von Konstantin.
Luftig-launig bat er sie um ein Treffen. Nach ihrer anfänglichen Enttäuschung las Joe den Text dann doch mehrmals, und von Mal zu Mal amüsierte sie sich mehr darüber. Halb trotzig, halb triumphierend befand sie, dass überhaupt nichts dagegen sprach, ihn in den nächsten Tagen einmal zu sehen. Heute fühlte sie sich stark und selbstbewusst genug, ihm gegenüberzutreten. Außerdem war sie viel zu neugierig, wie Konstantin sich ihr gegenüber nun geben würde. Bevor sie noch lange darüber nachdachte, schickte sie ihm eine Antwort-SMS:
In Ordnung.
Mit einem Siegerlächeln stieg sie die Treppen zu ihrer Wohnungstür hoch, aber gerade, als sie den Schlüssel ins Schloss stecken wollte, öffnete sich die Tür der Nachbarwohnung.
»Ja, schau mal, wen wir da haben!«, rief Hausmeister Wimmer mit dröhnender Stimme. Seine Frau kam sofort zur Tür geeilt. Ihr Gesicht glänzte von der Nachtcreme, und sie trug bereits einen blütenweißen Bademantel.
Joe schloss kurz die Augen. Sie atmete tief durch. Nachdem sie den beiden bislang so erfolgreich aus dem Weg gegangen war, musste sie sie ausgerechnet heute treffen! Joe hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst.
»Frau Benk! Wir hatten mehrfach bei Ihnen geklingelt«, sagte Frau Wimmer. Zu Joes Erstaunen lächelte sie dabei und streckte ihr wie eine alte Freundin die Hände begrüßend entgegen.
Joe war sprachlos. Sie konnte kaum fassen, was sie nun zu hören bekam:
Das Hausmeister-Ehepaar hatte neu zueinander gefunden, nachdem Herr Wimmer sich von seiner Geliebten getrennt hatte. Während die beiden von Aussprachen und Fehlern redeten, ergänzte einer das Gesagte des anderen, aber ohne ihn zu unterbrechen. Sie waren stets in einem harmonischen Takt. Während sie sprachen, berührten sie sich flüchtig, zärtlich und mit der Selbstverständlichkeit einer tiefen Liebe. Zwei Augenpaare strahlten Joe an, als die Wimmers sich bei ihr bedankten, ihr endlich eine gute Nacht wünschten und die Tür hinter sich schlössen. Joe empfand auf einmal so etwas wie Bewunderung für dieses Paar, das die Krise gemeistert hatte. Aber da war auch ein Hauch von neidvollem Bedauern. Warum nur hatte die Webpage bei ihren Eltern nicht eine ähnliche Wirkung erzielt?
Erbarmungslos riss der Wecker Joe aus dem Schlaf. Ihre Glieder waren bleischwer, ihr Kopf schmerzte bei der allerkleinsten Bewegung, und übel war ihr auch. Sie schwor, sich in Zukunft in alkoholischer Abstinenz zu üben. Stöhnend schleppte sie sich aus dem Bett, griff ihren Morgenmantel und tapste vorsichtig, jegliche Erschütterung vermeidend, ins Bad.
Die kalte Dusche belebte sie schlagartig. Langsam klärten sich ihre vernebelten Gedanken. Es war ein gutes Gefühl, an den gestrigen Erfolg zu denken. Sie dachte aber auch an Marc und ihren Geburtstag in zwei Tagen, der in diesem Jahr auf einen Sonntag fiel. Ihren Geburtstag würde Marc nicht vergessen. Spätestens dann würde er sich ganz sicher melden. Sie könnte natürlich auch ein bisschen nachhelfen und ein kleines Fest veranstalten. Nichts Großes, nur ein besonders schönes Abendessen mit Thomas, Alf und Marc. Ja, das wäre eine gute Idee, befand Joe, und allein der Gedanke versetzte sie wieder in Hochstimmung. Sie drehte das kalte Wasser ab, hüllte sich in ein warmes Frotteetuch, das über der Heizung gelegen hatte, und tapste barfuss aus dem Bad.
Ihr Herz klopfte fortissimo, als sie Marcs Nummer wählte, obwohl sie ihn tausendmal in ihrem Leben angerufen hatte. Der Anrufbeantworter sprang an. Joe war enttäuscht. Dann aber nahm sie es als Wink des Himmels. Mit gespielter Coolness lud sie ihn kurz und bündig für den Samstagabend ein, um mit ihr und den beiden anderen ungezwungen in ihren Geburtstag hineinzufeiern. Er sollte bloß nicht auf den Gedanken kommen, dass sie ihn brauchte.
Dreizehn
Joe hatte extra auf dem Markt eingekauft, Alf tobte sich noch in der Küche aus, und Thomas ließ seine Blumen sprechen. Das gemeinsame Werk dieses kreativen Dreierteams versprach eine glanzvolle Geburtstagsparty: Ein Blumenarrangement aus kleinen Rosen leuchtete mitten im Wohnraum auf dem von Thomas wundervoll verwandelten Tisch. Der Duft von Zitronengras und Kokosmilch zog so verführerisch durch die Wohnung wie das Parfum einer schönen Frau vor einer verheißungsvollen Nacht. Louise Roederer Brut
Weitere Kostenlose Bücher