Der Traum der Hebamme / Roman
Rauch und Flammen aufgehen zu sehen, musste den Bauern den Lebensmut nehmen.
Sie ritt immer noch mit dem Tross und versuchte, sich daran zu gewöhnen, dass die Männer sie mit merkwürdigen oder neugierigen Blicken musterten. Die Trossknechte wussten, dass sie die Frau eines Ritters war und nicht etwa eine Marketenderin, das ließ sich schon an ihrem Kleid und dem Pferd erkennen. Deshalb wagten sie nicht, das Wort an sie zu richten. Aber sie sprachen insgeheim über sie.
Nachts schlief Marthe in einem Zelt gemeinsam mit Lukas, ganz in der Nähe des Grafen und des Landgrafen, morgens und abends aß sie mit seinen Rittern. Doch tagsüber, während des Marsches, musste sie auf Weisung ihres Mannes hinten beim Tross bleiben. Am Ende eines langen Disputs darüber, ob sie mitziehen sollte oder nicht, hatte Lukas ihr das Versprechen abgenommen, dort zu bleiben, wo sie in Sicherheit war. Und ihm zuliebe würde sie sich daran halten, solange nicht irgendein Vorkommnis sie nach vorn rief.
Bruno, der alte thüringische Kreuzfahrer, der nur zwei Finger an der rechten Hand hatte, lenkte sein Pferd an ihre Seite und schenkte Marthe ein aufmunterndes Lächeln. »Meine Männer werden mit mehr Zuversicht in die Schlacht reiten, wenn sie wissen, Ihr kümmert Euch um sie, sollte ihnen etwas zustoßen«, sagte er.
Über sein schmales Gesicht mit den tiefen Falten zog ein Schatten – die Erinnerung an die vielen Männer, die er schon im Kampf oder danach an den erlittenen Verletzungen hatte sterben sehen.
Der Thüringer blieb an ihrer Seite, während sich das Fußvolk und die schwerbeladenen Ochsenkarren vorwärtsquälten; er gehörte zu denjenigen, die den Tross zu schützen hatten.
Als die Sonne im Zenit stand, kam ein Meldereiter zu ihnen nach hinten und übermittelte, was Hermanns Spähtrupps ausgekundschaftet hatten: Albrecht saß mit einem Teil seiner Ritterschaft in seiner neuen Burg nahe Weißenfels, die meisten seiner Männer jedoch belagerten Dietrich auf dessen Burg, wohin sich auch der Großteil der Dorfbewohner geflüchtet hatte.
Diesmal waren die Dörfer unmittelbar um Weißenfels nicht niedergebrannt worden. Etliche von Albrechts Rittern hatten Quartier in den Häusern am Fuße der Burg bezogen und alles an Vieh und Vorräten beschlagnahmt, was die eigentlichen Bewohner bei ihrer Flucht nicht mit sich nehmen konnten.
Nach den Worten des Boten standen die vorderen Heeresabteilungen bereits und warteten darauf, dass der Tross und das Fußvolk aufschlossen. Dann würden sie in den Angriff reiten. Landgraf Hermann sei entschlossen, wie ein Sturmwind über die meißnischen Angreifer herzufallen und sie aus der Nähe seiner Gebiete zu vertreiben.
Wie es wohl Dietrich und Thomas oben auf der Burg ergeht?, dachte Marthe, während sie dankbar einen Schluck zu trinken aus Brunos Vorräten annahm. Norbert, seinen Söhnen und Guntram, dem Schmied? Gibt es noch genug zu essen für alle, die dorthin geflohen waren?
Nun erlebten die Weißenfelser binnen dreier Jahre schon die zweite Belagerung. Aber vielleicht waren die auf der Burg Eingeschlossenen diesmal weniger verängstigt als beim ersten Mal. Vielleicht vertrauten sie nun Dietrich und seinem Verbündeten, dem mächtigen Landgrafen von Thüringen.
Und dann flogen ihre Gedanken zu ihrer Tochter, die womöglich gerade im Kindbett um ihr Leben und das ihres Kindes kämpfte. Marthe hatte Clara in der Zuversicht in Eisenach gelassen, dass die alte Wehmutter, die dort ihr Handwerk ausübte, erfahren war und ihre Sache verstand.
Warum überkam sie auf einmal so ein ungutes Gefühl, dass sie schon ihre Entscheidung zu bereuen begann, mit Lukas aufgebrochen zu sein?
Der Tross hatte mittlerweile zum Heer aufgeschlossen, das sich in einer Ebene sammelte. In der Ferne konnten sie bereits die Burg auf dem weißen Felsen erkennen. Die Sonne brannte heiß, kein Wölkchen zeigte sich am Himmel, kein Lüftchen wehte, und die Männer in den dicken Gambesons und Kettenhemden mussten schweißgebadet sein.
Marthe hörte die Hornsignale, nach denen sich die Panzerreiterei an der Spitze der Streitmacht formierte. Die Sergenten reihten sich hinter ihnen auf, und diesmal rannte auch das Fußvolk schon beim ersten Angriff mit. Dessen Aufgabe war es, die Feinde zu vertreiben, die sich in den Häusern am Fuße der Burg aufhielten.
Der schwache Nachhall einer befehlsgewohnten Stimme drang zu ihr durch – Landgraf Hermann hielt eine aufrüttelnde Rede, bevor er an der Spitze seiner Männer in
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