Der Traum der Hebamme / Roman
war …
Sogar ihre Stiefbrüder, Lukas’ Söhne, mussten darunter leiden.
Schon kurz nach dem Aufbruch des Landgrafen und ihrer Eltern hatte sie alle drei – Paul, Lukas und Konrad – in eine Prügelei mit ein paar Älteren verwickelt gesehen. Erst nach energischem Fragen und der Drohung, ihrem Vater davon nach seiner Rückkehr zu berichten, rückten sie damit heraus, worum es gegangen war.
»Sie haben behauptet, meine Schwester brüte nur Bastarde aus …«, gestand der dreizehnjährige Lukas schniefend, während sie ihm sein zuschwellendes Auge kühlte.
Clara beherrschte sich, um nicht zusammenzuzucken. Sie rang sich sogar ein Lächeln ab.
»Damit haben sie nicht ganz unrecht. Änne ist kein Bastard. Aber Dietrich …«
Doch der vierzehnjährige Paul, Lukas’ Erstgeborener, mit einer Magd gezeugt und das jüngere Ebenbild seines Vaters, unterbrach sie. »Dietrich und das kommende Kind sind zwar Bastarde, aber immerhin die Bastarde eines Grafen«, erklärte er dem Jüngeren mit erzwungenem Grinsen. »Das ist viel mehr als Bastard einer Magd – oder Bastard eines Ritters, wie Helmbrecht einer ist«, zog er genüsslich über einen ihrer Gegner in dem Gerangel her.
So froh Clara war, dass die drei trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft zusammenhielten, so schuldig fühlte sie sich an diesem Streit.
Ich habe gewusst, dass das auf mich zukommt. Und nun muss ich damit leben, dachte sie zum wohl tausendsten Mal.
Ihr einziger Trost waren Änne und der kleine Dietrich, der nun schon halbe Sätze plapperte und von seiner Schwester eifrig korrigiert wurde, wenn er ein Wort nicht richtig aussprach.
Der Junge rieb sich gerade müde die Augen, als es klopfte.
Clara zuckte zusammen. Sie hatte keine Schritte kommen hören. Ob man sie wieder zu Bernhard rufen würde? Jedes Mal, wenn sie seine Wunden behandelte, hatte sie das Gefühl, in den leeren Augenhöhlen noch den Nachhall seiner Schmerzen zu spüren wie einen grausigen, todbringenden Sog. Gern hätte sie ihm etwas gesagt, um ihn aufzurichten. Doch womit könnte sie jemandem Mut zusprechen, der gerade durch eine solche Gewalttat sein Augenlicht verloren hatte? Bernhard lebte nur noch für den Gedanken an Rache.
Sie ging zur Tür, fand draußen zu ihrer Überraschung jedoch nicht die freundliche Magd vor, die den Erblindeten versorgte und ihn über den Burghof führte, sondern eine von Juttas Edeldamen.
»Die junge Landgräfin wünscht Euch zu sehen«, sagte sie, ohne auch nur einen Knicks anzudeuten.
Clara glaubte, der Boden würde unter ihren Füßen wanken. Dieses Gespräch war unausweichlich und überfällig. Doch wenn Jutta damit gewartet hatte, bis ihr Vater fort war, würde es wohl noch schlimmer ausfallen als befürchtet …
Sie drehte sich zu Lisbeth um und bat sie mit einem Blick, sich um die Kinder zu kümmern. Änne wollte nicht einsehen, dass ihre Mutter auf einmal fortmusste, und zerrte an deren Rock. »Bleib hier, hierbleiben!«, bettelte sie.
Mit wundem Herzen löste Clara die kleine Hand von ihrem Kleid. »Ich komme gleich wieder. Sei brav!« Dann schloss sie die Tür hinter sich und folgte der Edeldame über den Burghof.
Änne war noch zu klein, um zu begreifen, dass man sich nicht verspäten durfte, wenn eine Höhergestellte jemanden zu sich befahl. Schon gar nicht, wenn es die Braut des Mannes war, dessen Kind man unterm Herzen trug.
»Hoheit!«
Es fiel Clara angesichts ihres Zustandes schwer, vor Jutta in einen Knicks zu sinken, und sie befürchtete schon, nicht wieder aufzukommen. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihren Rücken, und sie fragte sich, ob das wohl eine Wehe war. Bei ihren ersten beiden Schwangerschaften hatten die Wehen immer über den Rücken begonnen.
Jutta beobachtete sie durchdringend, und nachdem sie festgestellt hatte, dass Dietrichs Geliebte ihr die Geste der Unterwerfung nicht verweigerte, erlaubte sie Clara, aufzustehen. Dann schickte sie sämtliche Hofdamen hinaus und sagte zu Claras Erstaunen: »Bitte, setzt Euch!«
Verblüfft ließ Clara sich auf einem Stuhl nieder, nur auf der vorderen Kante, den schmerzenden Rücken ins Hohlkreuz gestreckt, und wartete darauf, dass Dietrichs Braut das Gespräch eröffnete.
Verstohlen musterte sie die Landgrafentochter unter halb gesenkten Lidern. Dass Jutta nun zwölf Jahre alt war, wusste sie. Sie wirkte älter, als sie war – nicht etwa durch weibliche Formen, davon war noch nichts zu sehen, sondern durch ihren ernsten, verschlossenen Gesichtsausdruck
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