Der Traum der Hebamme / Roman
verstimmt, und ein paar der Männer im Saal lachten. »Ihr bringt die thüringische Gastfreundschaft in Verruf.«
»Das bedaure ich sehr, Hoheit. Es lag nicht in meiner Absicht.«
»Das will ich hoffen! Ihr dürft nach Weißenfels reiten, wenn Ihr meint, das tun zu müssen.«
Hermann bedeutete ihm mit einer Handbewegung, aufzustehen und sich zu entfernen.
Lukas verneigte sich, blieb aber an seinem Platz. Die meisten Männer hätten sich wohl mit dieser Erlaubnis begnügt, nicht aber der Ritter aus Freiberg.
»Danke, Hoheit. Und seid Ihr zu einer Entscheidung gekommen, was den Grafen von Weißenfels betrifft?«
»Ihr kennt meine Entscheidung«, entgegnete Hermann schroff. Sein Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, dass dieses Thema für ihn abgeschlossen war.
Lukas zögerte. Es widerstrebte ihm, die Haltung des Landgrafen in dieser Angelegenheit hinzunehmen. Doch was konnte er tun? Er hatte lange genug versucht, ihn mit Worten umzustimmen. Wenn er jetzt nicht sofort zu seinem Platz marschierte, riskierte er, in Ungnade zu fallen. Dann vermochte er gar nichts für Dietrich zu bewirken. Während seine Gedanken auf der Suche nach einer Lösung kreisten, nahm er aus dem Augenwinkel eine Bewegung aus Marthes Richtung wahr und folgte Hermanns Blick, der plötzlich von etwas festgehalten schien.
Verstohlen sah Lukas zur Seite, zu Marthe. Das letzte Mal, als sie alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, war sie vorgetreten und hatte einen Markgrafen verflucht. Dafür war sie umgehend in Ketten gelegt und ins Verlies geworfen worden. Zugegeben, sie hatte es getan, um ihm, Lukas, das Leben zu retten. Doch in jenem Augenblick wäre er lieber gestorben, als sie Albrechts Schergen ausgeliefert zu sehen.
Was hat sie nun schon wieder vor?, dachte Lukas voller Sorge. So sehr ich sie auch mag – warum kann sie nicht einfach still und brav im Hintergrund bleiben, wie es von Weibern erwartet wird, bei Strafe ihres Untergangs?
Aber Marthe stand nicht auf, um etwas zu sagen und damit für Aufruhr zu sorgen, wie er befürchtete. Sie hatte sich nur eine Winzigkeit im Sitzen aufgerichtet, die Hand über das Herz gelegt und blickte dem Landgrafen direkt in die Augen.
Für die anderen kaum wahrnehmbar, dennoch eine gefährliche Übertretung. Wenn eine Frau einem Mann auf diese Art in die Augen sah, noch dazu einem Höhergestellten, war das ein ungeheuerlicher Verstoß gegen die Sitten, eine Herausforderung.
Am liebsten wäre Lukas aufgesprungen, um sich schützend vor Marthe zu stellen. Aber damit hätte er erst richtig auf den Zwischenfall aufmerksam gemacht, und das würde ihm der Landgraf nie verzeihen. Außerdem konnte er spüren, dass dieser Blickwechsel zwischen Hermann und Marthe einem stummen Zwiegespräch glich, auch wenn sie als Frau niemals ein Wort an den Fürsten würde richten dürfen, sofern dieser sie nicht ausdrücklich dazu aufforderte.
Nach einem endlos scheinenden Moment wandte der Landgraf die Augen ab und warf den Kopf leicht zurück, als könne er das eben Erlebte abschütteln. Nun senkte Marthe den Blick wieder, wie es von einer sittsamen Frau erwartet wurde. Flüchtige Beobachter und die Menschen in den hinteren Reihen hatten von dem Vorfall nichts mitbekommen.
Lukas jedoch wusste genau, dass es Marthes ungewöhnlichem Eingreifen zu verdanken war, wenn Hermann plötzlich zumindest in einem Punkt einlenkte. Sie hatte sein Gewissen berührt.
»Ich gewähre Euch ein halbes Dutzend Männer«, gestand er ihm mit größter Herablassung zu. »Sofern Ihr so viele findet, die bereit sind, Euch nach Weißenfels zu folgen.«
Lukas verneigte sich tief, bevor er aufstand, zu seinem Platz ging, Marthe die Hand reichte und mit ihr die Halle verließ. Immerhin – sechs kampfbewährte Männer durfte er mitnehmen. Und er wusste schon, wen er fragen und wer ganz sicher mit ihm reiten würde.
Freiberg, Herbst 1191
S chmerzerfüllt sah Jonas, Ratsherr und Schmied, auf seine Frau Emma. Johanna, die heilkundige Schwester seines Freundes Karl, hatte ihm gesagt, dass keine Hoffnung mehr bestand, und der Pater hatte der Todkranken schon die Sterbesakramente gewährt.
Nun sollte er wohl an ihrem Bett niederknien und gemeinsam mit ihr beten, bis sie ihren letzten Atemzug tat. Stattdessen setzte er sich auf die Kante des Bettes, nahm Emmas Hände und hielt sie mit seinen umfasst.
»Schau mich nicht so an«, bat seine Frau und drehte den Kopf beschämt beiseite. »Ich war einmal das hübscheste Mädchen im Dorf.
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