Der Traum der Hebamme / Roman
wie auf glühenden Kohlen, während Mägde und Knechte unter Aufsicht des Küchenmeisters das Essen auftrugen: je nach Stand der zu Bewirtenden Fleisch und Wein, der mit Wasser verdünnt wurde, Brot und Käse oder Brei und wässriges Bier.
Landgraf Hermann von Thüringen war ein hochgewachsener Mann Mitte dreißig, militärisch erfahren, seit einem Jahr verwitwet und stets zuerst auf seine eigenen Interessen bedacht. Er hatte es nach dem Tod seines Bruders Ludwig geschafft, dem Kaiser die Landgrafschaft abzutrotzen, obwohl dieser sie als Reichslehen einziehen wollte. Erbberechtigt waren nach Ansicht des Kaisers nur Söhne in direkter Linie, und Ludwig von Thüringen hinterließ keinen männlichen Erben, als er vor einem Jahr auf der Heimreise aus dem Heiligen Land dem Sumpffieber erlag.
Da Hermann auch als Förderer der Dichter und Spielleute galt, saß links von der hohen Tafel ein Musikant – ein alter Bekannter von Marthe und Lukas mit dem außergewöhnlichen Namen Ludmillus, der eine nicht enden wollende Melodie auf seiner Laute spielte. Zumindest kam es Lukas so vor, als ob sie nicht enden wollte.
Beim Essen ließ er den Landgrafen nicht aus den Augen, um sofort nach vorn zu stürzen und sich Gehör zu verschaffen, sollte der Fürst zur Jagd aufbrechen wollen, ohne ihn gesprochen zu haben.
Jetzt gab der Landgraf das Zeichen, dass der Spielmann innehalten sollte. Sofort verstummte die Laute.
Lukas starrte nach vorn und hielt sich bereit. Würde der Fürst nun die Halle verlassen?
Nein, Hermann blickte um sich, kostete die neugierige Erwartung seiner Untergebenen aus und wandte sich dann an seinen Truchsess.
»Ihr sagt, einer meiner Ritter wolle unsere Runde verlassen?«
Gunther von Schlotheim verneigte sich und gab Lukas ein Zeichen.
Marthe drückte ihrem Mann kurz die Hand, bevor er sich erhob, einige Schritte ging und vor dem Landgrafen auf ein Knie sank. Zu seinem Glück saßen sie an diesem Morgen an einem der vordersten Tische, weil Lukas sich tags zuvor bei einem Reiterwettkampf ausgezeichnet hatte.
»Durchlaucht, bitte gewährt mir einige Tage, um nach Weißenfels zu reiten.«
Der Landgraf sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Also glaubt Ihr tatsächlich, was Ihr behauptet? Dass der Meißner gegen seinen Bruder Krieg führt, kaum dass jener zurückgekehrt ist?«
»Gerade erhielt ich zuverlässige Bestätigung dafür, Euer Gnaden. Ich bitte Euch: Lasst nicht zu, dass solches Unrecht geschieht, dass ein Pilgerfahrer angegriffen wird, der im Heiligen Land kämpfte wie Euer Bruder, Gott sei seiner Seele gnädig.«
»Die Seele meines Bruders
ist
gerettet, denn er gab sein Leben für Jerusalem, und damit ist ihm sein Platz im Paradies sicher«, korrigierte Hermann scharf.
Lukas senkte den Kopf. Es machte die Sache schwieriger, dass er seine Bitte in der vollen Halle vortragen musste statt nur in kleiner Runde. So konnte er wohl die Hoffnung aufgeben, den Herrscher von Thüringen umzustimmen. Er musste schon froh sein, wenn Hermann ihm überhaupt erlaubte, seinen Hof vorübergehend zu verlassen.
»Ich will zugeben, als Kämpfer seid Ihr ein Gewinn«, konstatierte der Landgraf und tauschte dabei einen kurzen Blick mit seinem Marschall Heinrich von Eckartsberga. »Doch zu den Hoftagen kann ich Euch nicht mitnehmen, damit der Meißner nichts von Euch erfährt, und auch in manch anderer Hinsicht seid Ihr ein stetes Ärgernis«, fuhr Hermann fort. »Wie viele Zwischenfälle gab es mit Meuchelmördern, die Euch und Euerm Weib nachstellten und die Ihr getötet habt in den letzten anderthalb Jahren? Drei? Vier?«
Lukas räusperte sich und sah auf. »Sechs, Euer Gnaden.«
»Und habt Ihr dabei den Kerl mitgerechnet, den Ihr zurück nach Meißen jagtet, nachdem ihn Euer Weib zu Tode erschreckte?«
»Mit diesem sieben, Euer Gnaden«, gestand der Getadelte in gespielter Reue. Der siebte war ein solch jämmerlicher Feigling gewesen – vielleicht eingedenk des Schicksals der Männer, die vor ihm geschickt worden waren –, dass Lukas ihn mit Leichtigkeit erkennen und überwältigen konnte. Um endgültig vor Albrechts Nachstellungen Ruhe zu haben, hatte er ihm mit der Drohung den Rest gegeben, dass Marthe ihn mit ihren angeblichen Zauberkräften bis ins Jenseits verfolgen würde, sollte er Albrecht nicht glaubhaft versichern, seine beiden Feinde seien tot. Und eine geheime Nachricht aus Meißen hatte ihm bestätigt, dass die List aufgegangen war.
»Sieben. Ahnte ich es doch«, meinte der Landgraf
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