Der Traum der Hebamme / Roman
nicht darauf wetten, dass das Euern Bruder zum Abzug bewegt.«
»Wir müssen handeln,
bevor
die Verstärkung kommt. Das ist unsere einzige Chance!«, erklärte Thomas hitzig, der sich bis dahin mit Mühe zurückgehalten hatte, weil er der Jüngste in dieser Runde war. »Wir haben sechs Tage Zeit. Wagen wir einen Ausfall, reiten wir ins Lager und jagen sie davon!«
»Das wären nicht einmal fünfzig Reiter gegen zweihundert«, schätzte Dietrich nüchtern ein, ohne diesen Vorschlag zu befürworten oder abzulehnen.
»Ich bin ebenfalls für einen Überraschungsangriff. Machen wir uns zunutze, dass wir das Gelände kennen«, griff Norbert die Idee auf. Auch ihm wäre es tausendmal lieber, etwas zu unternehmen, statt nur abzuwarten. »Wir überrumpeln sie im Morgengrauen und reiten durch das Lager, noch bevor ihre Palisaden stehen. Bis sie wach und gerüstet sind, haben wir ihre Überzahl aufgehoben, und dann geht es Mann gegen Mann!«
»Albrechts Truchsess ist ein mit allen Wassern gewaschener Gegner«, widersprach Lukas hart. »Unterschätzt ihn nie! Er hat ganz sicher Vorbereitungen für solch einen Fall getroffen. Er wird das Lager gut bewachen lassen und auch ausreichend Leute im gesamten Gelände rund um die Burg verteilen, um uns die Wege zu versperren. Sie werden uns kommen sehen von dort oben.«
»Wir können genug Leute ausschicken, um seine Späher unschädlich zu machen«, erklärte der Burgkommandant.
»Genug?«, fragte Dietrich mit hochgezogenen Augenbrauen. »Obwohl wir in solcher Unterzahl sind? So gern ich auf mein Glück vertrauen und diese fünfzig Mann in den Angriff führen würde – was glaubt Ihr, mit wie vielen ich zurückkäme?«
Und nun sprach er es aus: »Geben die Weißenfelser mir nicht bereits die Schuld daran, dass niemand von denen heimgekommen ist, die mit mir ins Heilige Land geritten sind?«
Bestürzt sah Marthe auf Dietrich.
Der Ton in dieser Unterredung war mittlerweile schärfer geworden.
Lukas beugte sich leicht vor, um zu vermitteln. »Wir werden uns Eure Kenntnis des Geländes zunutze machen«, sagte er beschwichtigend zu Norbert. »Wir sind sogar darauf angewiesen. Wir müssen eine Gruppe Reiter aus der Burg hinausschaffen, an Albrechts Leuten vorbei.« Nun sah er Dietrich an.
»Ich fürchte, angesichts der Lage bleibt Euch kein anderer Weg, als Landgraf Hermanns Angebot anzunehmen. Reitet mit mir nach Thüringen, und wenn Gott und der Landgraf uns nicht im Stich lassen, können wir in sechs Tagen mit seinen versprochenen zweihundert Mann hier sein – gerade noch rechtzeitig, bevor Albrecht Verstärkung bekommt und die Burg unter Beschuss nehmen lässt. Ein Angriff von zwei Seiten, so würde ich vorgehen.«
Mit einem Ruck stand Dietrich auf und trat ans Fenster. Niemand sollte sein Gesicht sehen. Inzwischen war es draußen dunkel, er konnte den Feuerschein auf dem gegenüberliegenden Berg sehen, wo sein blutdürstiger Bruder das Lager aufgeschlagen hatte.
Ja, am liebsten wäre er auf der Stelle hinausgeritten und hätte die Sache mit dem Schwert ausgetragen. Doch er durfte nicht aus einer Laune heraus alle seine Ritter und Sergenten opfern. Sie waren so wenige, dass solch ein Unterfangen nicht Wagemut wäre, sondern frevelhafter Leichtsinn.
Wie es aussah, konnte tatsächlich einzig der Landgraf von Thüringen helfen. Aber sollte er allen Ernstes eine Verlobung mit einer Achtjährigen eingehen, nur um seine Haut zu retten?
Nie hatte er Clara heftiger begehrt als in diesem Augenblick.
Mit erzwungener Beherrschung drehte er sich zu Lukas um. »Seid Ihr Euch absolut sicher, dass sich der Landgraf nicht zu irgendeiner anderen Bedingung bereit erklären könnte, mich militärisch zu unterstützen?«
Lukas zögerte einen Augenblick, sah fragend zu Marthe, doch auch sie schien keinen anderen Weg zu sehen.
»Er will sicher sein, dass seine Tochter einmal gut verheiratet wird. Das ist es, was ihm am Herzen liegt, nachdem ihre Mutter gestorben ist«, sagte sie bedauernd.
Sie wussten beide: Dietrich hatte nichts zu bieten, womit er den reichen und mächtigen Landgrafen von Thüringen sonst locken könnte; dafür war sein Anteil am wettinischen Erbe zu gering. Und an Hermanns Gerechtigkeitssinn oder Vernunft zu appellieren – es war durchaus in seinem Interesse, den streitlustigen Nachbarn Albrecht zurechtzustutzen –, versprach wenig Erfolg. Dafür war Hermann ein zu kühler Rechner. Er wollte mehr Vorteil aus der Lage ziehen.
»Ein Bündnis mit Thüringen, durch
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