Der Traum der Hebamme / Roman
ich vergaß, Ihr seid gerade erst aus Outremer zurück … Ihr habt nicht miterlebt, was hier inzwischen geschehen ist.«
Hermann lehnte sich in seinem Stuhl zurück, trank aus einem prächtig verzierten zinnernen Becher und fuhr fort, Dietrich direkt in die Augen blickend.
»Lasst es mich erklären. Der neue Kaiser will mehr Macht und Land, noch mehr, als er ohnehin schon besitzt. Er weigerte sich, mir Thüringen zu übertragen, nachdem mein Bruder während seiner Pilgerfahrt starb, und wollte es als Reichslehen an sich reißen. Es war ein harter Kampf, bis er mir den angestammten Besitz meiner Väter endlich zubilligte. Ich gewann diesen Streit nur dank einiger Verbündeter, die ebenfalls argwöhnen, dieser Kaiser könne uns alle Stück für Stück entmachten.«
Hermann verdünnte seinen Wein mit einem Schluck Wasser. »Nun habe ich Thüringen, aber keinen männlichen Erben. Meine Gemahlin, die Witwe Eures Oheims Heinrich von Wettin, schenkte mir zwei Töchter, dann rief der Herr sie zu sich. Sollte ich sterben, bevor ich mich erneut vermählt und einen Sohn gezeugt habe – und ehrlich gesagt, steht mir vorerst nicht der Sinn nach Brautschau –, würde der Kaiser Thüringen sofort an sich reißen. Ich brauche also dringend einen Schwiegersohn. Einen Schwiegersohn, der auch das Zeug dazu hat, dieses Land zu retten, falls mir etwas zustößt.«
»Weshalb glaubt Ihr, ich sei der rechte Mann dafür?«, fragte Dietrich verwundert. »Ich verfüge nur über eine kleine Grafschaft, die noch dazu gerade verwüstet wurde, und nicht einmal über ausreichend erfahrene Kämpfer, um mich gegen meinen eigenen Bruder zu behaupten. Ich komme als Bittsteller zu Euch, mit leeren Händen, und nicht als jemand, der Eure Interessen durchsetzen könnte, wenn Ihr es nicht mehr vermögt.«
»O nein, jetzt macht Ihr Euch geringer, als Ihr seid«, entgegnete Hermann und beugte sich leicht vor. »Ihr bringt etwas in die Waagschale, das heutzutage äußerst selten geworden ist: Rechtschaffenheit!«
»Ich hätte nicht gedacht, dass Rechtschaffenheit derzeit noch eine gefragte Eigenschaft ist«, reagierte Dietrich zunächst verblüfft, dann zynisch. »Ist sie nicht eher hinderlich im Kampf um die Macht?«
»Ihr wart im Heiligen Land und seid nicht umgekehrt nach dem Tod des Kaisers wie die meisten anderen, sondern Ihr habt an Eurem Wallfahrereid festgehalten«, fuhr Hermann ungerührt fort.
»Den ich letztlich nicht erfüllen konnte, denn Jerusalem ist nach wie vor für uns unerreichbar«, ergänzte Dietrich bitter.
»Schuld daran sind die Streitereien unter den Baronen, unter den christlichen Fürsten!«, widersprach der Landgraf. »Ihr habt miterlebt, woran mein Bruder letztlich zugrunde gegangen ist und mit ihm viele aufrechte Seelen. Seid Ihr nicht davon ebenso abgestoßen? Davon und von dem, was Ihr nun erlebt? Von dem ungeheuren Verrat des Kaisers an Tusculum? Es würde mich sehr wundern, wenn Euch das kaltließe, so, wie ich Euch einschätze.«
»Auch wenn ich mich damit gegen den von Gott gesalbten Kaiser wende – ich stimme Euch zu«, antwortete Dietrich, ohne zu zögern.
»Dieser Kaiser ist so maßlos, dass es die Grundfesten unseres Reiches erschüttert«, fuhr Hermann schonungslos fort. »Schaut genau hin, was er plant: Das Pleißenland gehört ihm schon auf Betreiben seines Vaters, Thüringen wollte er sich holen. Und – auch das macht Euch für mich zum wertvollen Verbündeten – auf die Mark Meißen hat er ebenso längst seinen gierigen Blick gerichtet. Euer Bruder hat zu seinem eigenen Missfallen noch keinen Erben gezeugt.«
Nun senkte Hermann seine kraftvolle Stimme und beugte sich leicht vor. »Vielleicht lässt ihn der Kaiser sogar wider alles Recht gewähren bei seinem Kriegszug gegen Euch in der Hoffnung, ihr könntet beide dabei sterben. Und falls Ihr überlebt – glaubt Ihr, der Kaiser würde Euch die Mark zusprechen, wenn Euer Bruder tot ist? Nein, mein Freund, er würde sie sich nehmen, und Ihr könntet nichts dagegen tun.«
Hermann lehnte sich zurück und breitete die Arme aus. »Seht Ihr nun, weshalb wir natürliche Verbündete sind? Uns droht das gleiche Schicksal.«
»Doch wie Ihr selbst betont – ich könnte nichts dagegen tun«, gab Dietrich zu bedenken.
»Das muss sich erst noch zeigen«, meinte Hermann und lächelte in sich hinein. »Als mein Schwiegersohn seid Ihr in einer besseren Position. Wir kämpfen gemeinsam … und ich kann Euch versichern, Seite an Seite mit dem heute
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